In unserem Nachbarland Ungarn läuft aktuell eine interessante Diskussion über Atheismus und wie dieser einzuordnen ist. Im Oktober beginnt die Volkszählung, bei der, anders als in Österreich, auch das religiöse Bekenntnis erfasst wird.
Die Ungarische Atheistische Gesellschaft (Magyar Ateista Társaság, MATT) hat eine Kampagne mit dem Ziel gestartet, dass atheistische Menschen das bei der Volkszählung auch so angeben. Dies sei besser als „ohne Bekenntnis“ zu antworten oder die Antwort überhaupt zu verweigern. Bei der letzten Volkszählung in Ungarn vor elf Jahren haben sich 18 % als bekenntnisfrei deklariert und 27 % keine Antwort gegeben. Als AtheistIn wiesen sich nur etwa 1,5 % aus.
Das Ziel der Kampagne (für die man auch spenden kann) wird jedoch von einem obskuren Umstand gefährdet: Bei der Volkszählung 2011 gab es eine eigene Rubrik, um sich als AtheistIn zu deklarieren. 2022 ist diese entfallen. Stattdessen muss man wählen, dass man ein Bekenntnis hat und unter den Antwortmöglichkeiten zur Religion „Atheist“ auswählen. Für MATT inakzeptabel: Atheismus ist keine Religion, sondern die Abwesenheit einer Religion, und schon die Einordnung sei beleidigend.
Auf Ungarisch ist das Wort für Religion „vallás“, was wörtlich übersetzt ziemlich genau „Bekenntnis“ entspricht. Genau genommen sind Religionen insgesamt eine Untergruppe von Weltanschauungen, während Atheismus eben eine vollständige Weltanschauung ist. Insofern wäre es also logischer, AtheistIn nicht in der Liste der religiösen Bekenntnisse, sondern oberhalb als eigene Kategorie zu führen.
Es gab eine Abstimmung zwischen den Atheisten und dem Statistischen Zentralamt zu dieser Frage. Das Zentralamt erklärt, dass die Änderung des Formulars nicht mehr möglich sei, da die Volkszählung schon im Oktober beginnt. Die Möglichkeit, sich als AtheistIn zu deklarieren, wird aber in den Erläuterungen beschrieben werden. (Und man muss genau lesen, um nicht irrtümlich „Adventista“ (Adventist) zu erwischen.) Weiters soll bei der Auszählung die Antwort „AtheistIn“ in der Zusammenfassung der Weltanschauungen als „ohne Religion oder Bekenntnis“ gezählt werden, und nicht zur Gruppe der Religiösen. Insgesamt also doch sinnvolle Kompromisse zwischen dem Amt in der späten Phase der Vorbereitung und den AtheistInnen. Es wurde auch vereinbart, dass für die Zukunft eine Form der Einordnung von Weltanschauungen gefunden werden soll, die über die simple religiös-oder-nicht-Auswahl hinausgeht. Dies will das Statistische Zentralamt jedoch auch international abstimmen.
MATT rechnet damit, dass in der Volkszählung 2022 der Anteil der Leute, die sich als christlich deklarieren, auf unter 50 % fallen wird (2011: 54 %). Dies würde die häufige Betonung durch die Regierungsparteien, Ungarn sei eine „christliche Nation“, als falsch und nicht mehr vertretbar entlarven.
Fürs Statistische Zentralamt ist auch eine internationale Vergleichbarkeit wichtig. Und hier stellt sich das Problem, dass Atheismus auch in der EU selten überhaupt abgefragt wird. Somit kann man sich gar nicht als AtheistIn deklarieren. Dies gibt religiösen AdvokatInnen die Möglichkeit, atheistische Menschen als verschwindend kleine Randgruppe darzustellen, auch wenn das nicht der Wahrheit entspricht. Und wenn in der Jugendstudie „Lebenswelten 2020“ herauskommt, dass weniger als die Hälfte der Jugendlichen an einen Gott oder etwas Göttliches glauben, die Mehrheit also atheistisch ist, wird darüber am liebsten geschwiegen.
In Österreich war ja die letze Volkszählung, in der das religiöse Bekenntnis abgefragt wurde, 2001. Zwanzig Jahre später führte die Statistik Austria eine „Haushaltserhebung“ durch, die mit methodischen Mängeln behaftet war und in Details einige implausible Ergebnisse lieferte. Aber auch diese Erhebung bestätigte den Trend, dass insbesondere große Kirchen stark an Mitgliedern verlieren und die am schnellsten wachsende Gruppe die der Konfessionsfreien ist. Nach den besten verfügbaren Zahlen sind etwa 25,3 % der Menschen in Österreich konfessionsfrei.
Für die Zukunft wäre wünschenswert, dass das ungarische Statistik-Amt international eine bessere, standardisierte Form der Fragestellung abstimmen kann, die die komplexe Realität von Weltanschauungen und religiösen Bekenntnissen besser abbildet als die bisherigen Fragebögen und Einteilungen. Natürlich ist es aber auch legitim, wenn ein Staat sich komplett aus dem Thema der religiösen Bekenntnisse heraushält und sie z. B. auch im Meldewesen nicht erfasst. So haben wir aber in Österreich die schlechtestmögliche Lösung: Staatliche Zuordnung des religiösen Bekenntnisses zu jeder Person ohne öffentlich zugängliche Summen, aber keine anonymen Statistiken auf Basis vollständiger Volkszählungen. Somit wissen wir nicht exakt, woran die Bevölkerung glaubt oder nicht glaubt, und welche Verbreitung die verschiedenen Weltanschauungen überhaupt noch haben.
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