Rechtsextremismus und der Dunning-Kugler-Streisand-Effekt

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Gudrun Kugler, die fundamentalistisch-katholische ÖVP-Abgeordnete, beschwert sich in ihrem Blog darüber, dass sie im neuen Rechtsextremismus-Bericht des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes zusammen mit anderen ÖVP-Politiker:innen genannt ist. Ihre Kritik hat es auch schon auf Kathpress geschafft, wo sich einen Tag später weitere im Bericht genannte Vertreter des politischen Christentums äußern durften. Ob sie sich damit etwas Gutes tun, ist ungewiss. Der nicht einmal zwei Seiten lange Abschnitt „6.5.6 Rechtskatholizismus“ ab Seite 116 des Berichts hätte ohne ihre Beschwerden nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, wie er jetzt hat. So kann eine größere Öffentlichkeit die gut dokumentierten Verbindungen zwischen rechtskonservativen christlichen Kreisen und rechtsradikalen Strömungen kennenlernen.

Rechtsextremismus-Bericht von den Experten

Der Bericht „Rechtsextremismus in Österreich 2023 – Unter Berücksichtigung der Jahre 2020 bis 2022“ wurde von der „Stiftung Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ im Auftrag des Innen- und des Justizministeriums verfasst, also einem ÖVP- und einem Grünen-geführten Ministerium in der Legislaturperiode 2000-2024 beauftragt. Das DÖW ist in Österreich bei der Beobachtung rechtsextremer Strukturen seit Jahrzehnten führend. Natürlich werfen ihm die darin genannten Personen und Organisationen Parteilichkeit vor, so wie wir Atheist:innen auch häufig nicht als objektive Religionskritiker:innen anerkannt werden. Beides ist gleichermaßen irrelevant, wenn die Aussagen gut dokumentiert und fundiert sind.
Bereits in der Einleitung auf Seite 13 des Berichts lesen wir:

Die bloße Erwähnung von Organisationen und Personen in diesem Bericht ist nicht gleichbedeutend mit einer Einstufung derselben als rechtsextrem. Das ergibt sich schon aus dem Bestreben, den Rechtsextremismus auch in seinen Rand- und Übergangsbereichen, sowie seinen Verbindungen in die gesellschaftliche Mitte darzustellen.

Es geht also nicht darum, eine simple Liste von als rechtsextrem wahrgenommenen Personen zu erstellen. Zweck des Berichts ist, die gesellschaftlichen Gruppen und Strukturen zu beschreiben, aus denen Menschen leicht in rechtsextreme Gruppen wechseln, weil sie ideologische Überschneidungen oder persönliche Kontakte finden.

Kapitel 2. Methodologie beschreibt unter anderem die Auswahlkriterien für die Nennung im Bericht und 3. Begriffsbestimmungen erklärt die relevanten Begriffe. Kapitel 6, mit 98 Seiten der Schwerpunkt des Berichts, stellt schließlich die handelnden Organisationen und Personen sowie das Umfeld vor.
Hier steht die beanstandete Kategorie „6.5.6 Rechtskatholizismus“ auf einer Ebene mit Bereichen wie „6.4.1 Türkische Community“, „6.4.4 Ukrainische Community“, „6.5.1 Musik“, „6.5.4 Verschwörungsaffine Szenen“ und „6.5.5 Neopaganismus und völkische Esoterik“.
Es ist offensichtlich – und schon in der Einleitung festgehalten worden -, dass die Beschreibung der Gruppen und ihrer Berührungspunkte mit rechtsextremen Organisationen und Themen nicht heißen soll, dass alle Mitglieder der Gruppen als rechtsextrem eingestuft werden. Im Gegenteil, der Text beschreibt genau und mit Belegen, welche Aspekte der genannten Kategorie zur Nennung im Rechtsextremismusbericht führen. Und wer solche Positionen unterstützt, gehört in den Bericht, auch wenn er oder sie selbst meint, nicht rechtsextrem zu sein.

Rechtskatholizismus als Gegenstand im Bericht

Übers rechtskatholische und anders christliche Milieu schreibt der Bericht ab Seite 116:

Unter Rechtskatholizismus wird hier das konservative bis reaktionäre, autoritäre und in Randbereichen rechtsextreme Spektrum des politischen Katholizismus gefasst. Im Kontext des vorliegenden Berichts sind dabei nicht Positionierungen in theologischen Fragen, private Religiosität oder demokratiekompatibler Aktivismus aus religiösen Motiven von Belang. Gegenstand ist vielmehr, analog zum Islamismus, religiös begründete politische Betätigung, die mit Grundelementen der österreichischen Demokratie (wie insbesondere der Trennung von Kirche und Staat, der freien Religionsausübung auch für Nicht-Christ*innen und der republikanischen Verfasstheit des Gemeinwesens) in Konflikt steht und sohin als demokratiegefährdend einzustufen ist.

Die in diesem Milieu geäußerten Inhalte beinhalten Monarchismus, die Ablehnung von Feminismus und Schwangerschaftsabbruch, Homosexuellen- und Transsexuellenrechten und das Eintreten für heteronormative Geschlechterrollen und Familienbilder. Dies sind gleichzeitig die Anknüpfungspunkte für Kontakte zwischen Rechtsextremist:innen und den Rechtskatholik:innen (wobei die so genannte Gruppe vereinzelt auch Personen aus anderen christlichen Abspaltungen von Abspaltungen beinhaltet).
Besonders klar wird das beim sogenannten „Marsch fürs Leben: Nach einem katholischen Gottesdienst in der Karlskirche marschieren christliche Aktivist:innen und Politiker:innen zusammen mit den Identitären um Martin Sellner. Gleiches Ziel, etwas andere Begründung. Auch bei Kulturkampf-Themen wie Märchenstunden für Kinder empören sich die Organe des rechten Christentums. Das alles kennen wir aus den USA, wo für diese Form des antidemokratischen politischen Christentums die Formulierung „Christian Nationalism“ gefunden wurde.
Wenn eine Bewegung, die die beschriebenen Eigenschaften besitzt, sich Zugang in die Politik verschafft, ist das relevant für einen Rechtsextremismusbericht.

Frau Kugler ist jedoch nicht einverstanden.

An Absurdität kaum zu überbieten ist die Erwähnung einiger meiner Kollegen der Volkspartei und eine mir gewidmete Passage: „Der maßgeblich von“ einem „rechtskatholischen Milieu“ getragene Vorzugsstimmenwahlkampf für Gudrun Kugler bei den Wiener Gemeinderatswahlen 2015 war … von Erfolg gekrönt.“
Entschuldigung??? Christliche und konservative Positionen sind weder rechts noch extrem! Politiker und Wähler rechts der SPÖ und Grünen in einen solchen Kontext zu stellen ist nicht nur rufschädigend. Es verharmlost vor allem den Rechtsextremismus und lässt Fragen zur Sinnhaftigkeit des ganzen Berichts aufkommen.

Sie lässt auch noch einen Parteikollegen antanzen, der im Bericht gar nicht genannt war, „Bundesobmann des NS-Opferverbands Norbert Kastelic“, „Sohn eines christlichen Widerstandkämpfers“. Dieser soll sie entlasten, indem er auch behauptet, der Bericht würde die Gräueltaten der NS-Diktatur verharmlosen (tut er nicht) und „christliche Politiker und Positionen als rechtsextrem“ zu bezeichnen (tut er auch nicht). Eine faktisch falsche Unterstützung für unbelegte Behauptungen – Standardargumentationsweise im christlichen Umfeld. Die Vorwürfe gegen den Bericht sind frei erfunden, sie basieren auf oberflächlichem, nicht sinnerfassenden Lesen statt auf Fakten.

Neben ihr wird im Bericht die Organisation „Plattform Christdemokratie“ als Beispiel für die – bisher nicht so erfolgreiche – Betätigung des politischen Christentums genannt. Diese „Plattform“ fiel im Herbst 2024 damit auf, dass sie im Rahmen eines von der EU finanzierten Bürger:innenbeteiligungsprojekts ein „public forum“ abhielt, dafür aber nur Kontakte und Gruppen aus dem christlichen Milieu einlud. Die so erhaltenen stark verzerrten Ergebnisse wurden dann an die EU übermittelt. Dass „Demokratie“ im Namen der Organisation gegenüber „Christ“ stark in den Hintergrund tritt, wissen wir schon länger.

Der Unterschied zwischen rechter Politik und Rechtsextremismus ist der Wunsch, wesentliche Elemente der Demokratie und gleiche Rechte für alle Genderidentitäten und Lebensformen abschaffen zu wollen. Da die Gesellschaft in diesen Dingen weiter ist als sie vor Jahrhunderten war, ist das Vertreten von ebenso alten Position keine Ausrede. Diese können heute auch rechtsextrem sein, wenn sie sich nicht geändert haben.

Ungelesen, unbegründet, unnötiger Unfug

Wenn man den Bericht nicht genau gelesen hat, sondern nur schnell nach dem eigenen Namen sucht, weiß man auch nicht, was drinnen steht. Der Bericht beschreibt das rechte Christentum als Umfeld, das einerseits Verbindungen in Rechtsaußen-Kreise hat und pflegt (auch für Gudrun Kugler selbst belegt), andererseits auch eine politische Wirkung anstrebt, indem es z. B. innerhalb einer Partei mit Vorzugsstimmenwahlkämpfen die eigene Bedeutung erhöhen will. Gleichzeitig erklärt Prof. Regina Polak aus der jüngsten „Was glaubt Österreich?“-Studie, dass es unter den strenggläubigen Katholik:innen genau die beschriebenen antidemokratischen und minderheitenfeindlichen Tendenzen gibt.
Mit den Behauptungen und dem vom „Sohn des Widerstandkämpfers“ ausgestellten Persilschein soll das Christentum, und zwar alle seine Formen, gegen Kritik immunisiert werden. Dies war auch in den USA zu beobachten: Selbst wenn progressive christlichen Gruppen Vorwürfe des „christlichen Nationalismus“ äußern, wird das mit „das ist ein Angriff auf das Christentum“ bekämpft, statt sich inhaltlich mit ihnen zu beschäftigen.
Doch genau diese inhaltliche Beschäftigung fehlt im Blogbeitrag Kuglers und in den weiteren Äußerungen bei Kathpress. Stattdessen schreibt sie von „politischer Agitation“, „linkem Narrativ“ und behauptet, der Bericht ließe „wissenschaftliche Redlichkeit“ vermissen, ohne dies inhaltlich zu belegen. Das ist ein versuchter Diskussions-Stopper, der inhaltliche Redlichkeit vermissen lässt. Kritik soll von Anfang an unterbunden und als unfair motiviert dargestellt werden, weil es bequemer ist, andere als unzuverlässig und irrelevant darzustellen, als zu erklären, welche Bandbreite die genannte Bewegung tatsächlich hat und bewusst zulässt.

Der Bericht stellt christliche Menschen und ÖVP-Politiker:innen nicht unter Generalverdacht, so wie er türkische, ukrainische und polnische Einwanderer:innen nicht unter Generalverdacht stellt. Das tun wir hier auch nicht. Die persönliche Abgrenzung von einzelnen rechtsextremistischen Inhalten ist absolut glaubwürdig – es geht aber auch darum, in welchen Organisationen und Netzwerken die Gruppe sich noch bewegt. Wie offen sie für Menschen und Inhalte, die die Grenze zum Rechtsextremismus überschreiten, ist.

Gegenüber Gudrun Kugler bestehen Rücktrittsaufforderungen beim Humanistischen Verband Österreich und beim Radio-Athikan-Podcast, weil sie in Konflikt mit ihrem Amtseid als Nationalratsabgeordnete die „Hauptaufgabe des Staates“ nicht etwa aus der österreichischen Verfassung oder wenigstens aus dem Programm der Partei, der sie angehört, herleitet, sondern aus der religiösen Vorschriften-Liste einer rückständigen ausländischen Theokratie. Sie trat dafür ein, dass christliche Menschen Gesetze aus Gewissensgründen ignorieren dürfen sollen, nach US-amerikanischem Vorbild. Sie und ihr politisches und religiöses Umfeld stehen vollkommen zu Recht im Bericht, und sie können sicher sein, dass alle demokratischen Kräfte – ob atheistisch, humanistisch, christlich oder anders religiös – sie und ihre Machenschaften im Auge behalten.

Gudrun Kuglers Blog ist theoretisch für Kommentare offen. Praktisch werden dort auch sachlich argumentierte Gegenmeinungen sofort wegmoderiert. Hier hingegen ist die Diskussion für alle belegten, gut argumentierten Äußerungen offen, auch Gegenmeinungen sind explizit willkommen. Beleidigungen und Höllendrohungen auch, solange sie einen Unterhaltungswert besitzen.

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Wer braucht schon Fakten, sinnerfassende Lesekompetenz (die von anderen Bevölkerungsgruppen selbstverständlich eingefordert wird) oder auch nur einen Funken Selbstreflexion, wenn man sich als Opfer darstellen kann.
Ist doch viel einfacher und „christlicher“.

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