Nun ist es also offiziell: Die römisch-katholische Kirche in Österreich hat im September ihre Zahlen für 2024 bekanntgegeben, und damit festgestellt, dass sie nicht mehr die Hälfte der Bevölkerung vertritt. Natürlich fehlt diese konkrete Information aus der Veröffentlichung, und auch denkfaule Medien haben sich nicht die Mühe gemacht, bei der Statistik Austria die Bevölkerungszahl nachzuschauen und eine einfache Division durchzuführen.

Die große Schlagzeile war überall, dass die Anzahl der Austritte abgenommen hat. Die 71.531 Austritte 2024 (2023: 85.163, 2022: 90.975) sind tatsächlich nur der fünfthöchste Wert der letzten Jahrzehnte. Bei einer schrumpfenden Gesamtmenge ist natürlich die Anzahl der Austritte weniger relevant als der Anteil jener, die sich für den Austritt entscheiden. Und mit 1,53 % war das immer noch hoch, fast so viel wie 2010, im Jahr der massenhaften Kindervergewaltigungs-Skandale. Dies zeigt nach 1,87 % (2022) und 1,79 % (2023) weiterhin, dass selbst ohne große Skandale ein merkbarer Teil der Mitglieder nicht glücklich in der Kirche und mit allem, was die Mitgliedschaft mit sich zieht, ist. 
Der Rückgang der Mitgliederzahlen hängt jedoch nicht nur von den Austritten ab. Der zweite wichtige Faktor ist das sogenannte Taufdefizit: Weniger Neugeborene werden hineingetauft als katholische Menschen versterben. Hier läuft die Schere seit Jahren auseinander und führt dazu, dass die gesamte Abgangsrate mit 1,75 % weiter hoch liegt. Dies ist der dritthöchste Wert, die beiden höheren Werte wurden in den Jahren davor mit 1,99 % (2023) und 1,96 % (2022) erreicht. Also gewisse Schwankungen, aber auf einem früher nicht bekannten, hohen Niveau.
Balkendiagramm: Austritts- und Abgangsrate in der katholischen Kirche Östereichs

Neue "Mitglieder"

Der wichtigste Methode der „Kundengewinnung“ ist immer noch die Zwangstaufe von Kleinkindern, die sich nicht wehren können. Die Statistiken dafür sind detailliert ausgewiesen.

Balkendiagramm der römisch-katholischen Taufen 2010-2024

Die Taufen insgesamt sind auf 36.705 gesunken. Es gab bisher nur einen niedrigeren Wert, und zwar 2020, im ersten Jahr der Corona-Pandemie, als so verzichtbare Rituale ausgelassen oder, wie es aussieht, teilweise später nachgeholt wurden. Dieser Nachholeffekt ist jedoch bereits vorbei. Wenn der Trend der letzten Jahre weitergeht, wird auch die Zahl aus der Corona-Pandemie bald unterboten werden.

Den starken Rückgang um 7 Prozent von 2023 auf 2024 versucht die Kirche folgendermaßen zu erklären: „Dies hängt auch mit dem Rückgang der Geburtenzahl in Österreich zusammen“. Das stimmt insofern, dass die Geburten zwischen 2023 und 2024 tatsächlich zurückgingen: Um 0,47 %. Ein Vierzehntel des Effekts ist also immerhin erklärt. Der Anteil der römisch-katholischen Taufen von Neugeborenen an allen Geburten war bis 2015 über 50 %. Er begann dann zu sinken und später zu fallen. 2023 wurden 39,2 % der Geburten des Jahres innerhalb des ersten Lebensjahres getauft, 2024 nur mehr 34,9 %.

Natürlich ist die Situation auch von Migration beeinflusst. Dies können wir jedoch herausrechnen. Bis 2012 wurden über zwei Drittel der Neugeborenen von Eltern mit österreichischer Staatsbürgerschaft getauft, dies fiel 2018 unter 60 % und 2024 auf nur mehr 45,8 %. (Der wahre Wert liegt niedriger, weil auch einige Eltern mit Migrationshintergrund ihre Babys katholisch taufen lassen.) Die Kirche mag das öffentlich mit der Demografie erklären – von außen sehen wir eine Mehrheit von Österreicher:innen, die ihre Kinder nicht der Mitgliedschaft in dieser katholischen Kirche aussetzen will.

Erstkommunionen und Firmungen sind leicht gestiegen. Dies hängt natürlich mit der Zahl der getauften Kinder vor 8 bzw. 14 Jahren zusammen und weniger mit aktuellen Entscheidungen. Interessanter ist hier, welcher Anteil der vor 8 Jahren getauften nicht mehr in der Erstkommunion aufscheint (2024: 4,1 %) und wie viele der 14jährigen, vor 14 Jahren getauften sich gegen die Firmung entscheiden: 2024 waren es 16,7 %, ein Sechstel. Das ist ein Teil der zukünftigen Austritte, die sich bereits im Teenageralter abzeichnen.

Katholische Trauungen

Lange Zeit zog bei jungen Menschen das Argument „aber ich will schön in der Kirche heiraten“ noch gegen die  Austritte. Das scheint nicht mehr der Fall zu sein. Die absolute Zahl der katholischen Eheschließungen war bis 2018 über 10.000 pro Jahr, fiel vor Corona schon darunter, und lag 2024 bei 7.537. Die Anzahl der Eheschließungen in Österreich ist aber relativ stabil, nur der katholische Anteil daran sinkt kontinuierlich. 2024 wurden nur mehr 16,5 % der Eheschließungen mit einer katholischen Veranstaltung verknüpft. Dies bedeutet natürlich, dass immer weniger junge Menschen dies im eigenen Umfeld sehen und der Wunsch nach kirchlicher Hochzeit auch bei ihnen zurückgeht. Dies wirkt sich wiederum auf die Taufen aus und so weiter.

Priester und Pfarren

Nach dem starken Rückgang der Pfarren im Jahr 2023 (-3,3 %, von 3.007 auf 2.907) war die negative Entwicklung 2024 moderater, um 0,6 % auf 2.890. Die Änderung bei den Priestern ist in der Größenordnung der Abgangsrate der Mitglieder, -59 Priester, das entspricht einem Rückgang von 1,7 %. 19 neue Priester kamen dazu, die durch Tod, Pensionierung oder aus anderen Gründen ausfallenden früheren Profizauberer werden also nur zu ca. einem Viertel ersetzt. Die Zahl der Priester aus dem Ausland steigt auch nicht mehr wirklich (um einen, von 456 auf 457), dieser Weg der Ersatzbeschaffung ist auch nicht mehr so leicht wie früher.

Stabile Seitenlage: Katholische Statistiken 2024 1

Finanzen

Mit der relativ hohen Inflation der letzten Jahre und den darauf folgenden höheren Kollektivvertragsabschlüssen können die höheren Kirchenbeitragsvorschreibungen die Abgänge noch gut kompensieren. Die Summe der Kirchenbeitragseinnahmen stieg von 511 Mio. € im Jahr 2023 um 5,5 % auf 539,4 Mio. €. Die verbleibenden Mitglieder werden also stärker zur Kasse gebeten, und es wird noch dauern, bis die Austritte auch zu einem Einnahmenrückgang führen.

Mehr als 8 % der Einkünfte der Kirche sind jedoch direkte Zahlungen des Staates, angeblich als Entschädigung für Schäden in der Nazizeit. Alle anderen Geschädigten des Hitler-Regimes mussten ihren Schaden konkret nachweisen, und dieser wurde mehr oder weniger (eher weniger und sehr spät) abgegolten. An die katholische Kirche und weitere drei kleine Religionsgemeinschaften wird jedoch weiter ohne Aussicht auf ein Ende gezahlt, in Summe sind bereits Milliarden Euro geleistet worden. Auch 2024 gab es, bei angespannter Budgetsituation, keinerlei Initiativen der Politik, zumindest diese Berechnung, ob die Entschädigung bereits erledigt wäre, durchzuführen. Für die österreichische Politik sind Kirchenprivilegien derzeit noch unantastbar und indiskutabel.

Die geleisteten Kirchenbeiträge können seit 2024 bis 600 € von der Einkommenssteuer abgesetzt werden (früher: 400 €). Das ist eine direkte Subvention des Staates an die Kirchenmitglieder. Hier wird nicht die Kirche, sondern die Kirchenmitgliedschaft mit bis zu 48 % (gut verdienende Person, die ca. 600 € an Kirchenbeitrag leistet) subventioniert. Eine schöne Sache für die Betroffenen, weniger schön fürs angespannte Budget, das Ausgabenkürzungen auch für soziale Zwecke vorsieht. Aber auch dieses Thema wurde Anfang 2024 nur kurz diskutiert. In Wien subventionieren etwa zwei Drittel der Bevölkerung (Konfessionsfreie, Orthodoxe, islamische Menschen) dem verbleibenden Drittel (jenen mit Pflichtbeiträgen) die Religionsmitgliedschaft.

Fazit

Die Prognosen, dass die nominelle katholische Bevölkerungsmehrheit im Spätsommer oder Frühherbst 2024 fallen wird, haben sich als richtig erwiesen. Die Austritte sind zwar zwei Jahre hintereinander gefallen, bleiben aber auf einem hohen Niveau. Absolute Rekorde wird es vielleicht nicht mehr geben, aber der anteilige Rückgang bleibt hoch. Als weiterer Faktor für den Rückgang des katholischen Anteils fällt die wachsende Differenz zwischen Zwangstaufen und Todesfällen immer stärker ins Gewicht.

Dass die Propagandaorganisation Kathpress den Verlust der Bevölkerungsmehrheit nicht explizit ausweist, ist aus ihrer Sicht verständlich. Dass österreichische Medien mit wenigen Ausnahmen diese historische Tatsache nicht vermelden, ist ein trauriges Zeichen für den hiesigen Journalismus.

Die Politik reagiert wieder nicht, im Gegenteil: Sie sucht aktiv die Zusammenarbeit mit Religionsgesellschaften, in der Hoffnung, durch „religiösen Dialog“ die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Dass sie die mittlerweile 33 % Konfessionsfreien dabei übersieht, wird sich für die Parteien früher oder später rächen. Würde eine von ihnen eine glaubwürdig säkulare Politik vertreten und z. B. den Ausgetretenen der fünf Jahre einer Legislaturperiode ein sinnvolles Angebot machen, könnte sie allein von diesen Menschen mehrere Nationalratsmandate holen. 

Aber ohne guten Journalismus, ohne weit verbreitete Informationen über die Verteilung der Mitglieder und Nichtmitglieder von Religionsgesellschaften wird es in diesem Bereich auch keine informierte Politik geben.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Älteste
Neueste Meist abgestimmt
Inline Feedbacks
View all comments
0
Wir würden gerne deine Gedanken dazu erfahren. Bitte schreib uns ein Kommentar.x