Nur eine Theorie?

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Gelegentlich wird versucht, die Evolutionstheorie mit der Aussage „Ist doch nur eine Theorie“ anzugreifen. Diese Aussage entlarvt die Person, die sie verwendet, als jemanden, der/die sich nicht ernsthaft mit Wissenschaft beschäftigt.

In der Wissenschaft ist eine Theorie ein System von untereinander widerspruchsfreien und bislang nicht falsifizierten Aussagen, das dazu dient, die Wirklichkeit zu erklären und Vorhersagen zu treffen (vgl.: Wikipedia: Theorie). Das sagt noch nichts darüber aus, ob die Theorie stimmt oder nicht, dies ist die Aufgabe derjenigen, die sie erhärten oder widerlegen wollen.

 

Im Gegensatz dazu ist eine These oder Hypothese eine (noch) unbewiesene Aussage oder Annahme. Umgangssprachlich wird Theorie gelegentlich auch in diesem Sinn verwendet, aber wer wissenschaftliche Aussagen kritisieren will, sollte zumindest bereit sein, die Sprache der Wissenschaft zu sprechen. Man könnte das Humpty-Dumpty-Argument „Ich kann selbst bestimmen, was die Wörter, die ich gebrauche, bedeuten“ vorbringen und behaupten, eine Theorie sei eine reine Behauptung, nur passt dieses Wort dann nicht auf die Evolutionstheorie, die eben ein System von Aussagen ist, um die Realität zu erklären.

 

Die Wissenschaft kann Theorien im Allgemeinen nicht vollständig beweisen. (Die Möglichkeit, etwas zweifelsfrei zu beweisen, ist in Teilen der Mathematik und der Logik gegeben, aber wir können unsere Welt niemals so detailliert erfahren und beschreiben, dass wir etwas auf vergleichbare Weise beweisen könnten.) Deswegen werden Theorien immer zuerst auf den Prüfstand gestellt, indem sie widerlegbar (falsifizierbar) formuliert werden. Eine einzige Falsifikation reicht, um die Theorie zu widerlegen. Wenn das aber schon 150 Jahre lang, trotz vieler Versuche, nicht gelungen ist, können wir die Theorie als nützliches Werkzeug, die Realität zu beschreiben, verwenden, eben bis zum Nachweis des Gegenteils, oder bis wir etwas Besseres finden.

 

Beispiele anderer Theorien:

  • Gravitationstheorie: Im Allgemeinen (in der klassischen Mechanik) nach wie vor anwendbar, aber durch die Allgemeine Relativitätstheorie präzisiert und erweitert. Die Vorhersagen der beiden Theorien sind im Alltag so nahe beieinander, dass die Gravitationstheorie im täglichen Leben nach wie vor nützlich und anwendbar ist. Nur bestimmte kosmologische Phänomene können mit ihr nicht auf die letzte Kommastelle genau erklärt werden.

  • Die Allgemeine Relativitätstheorie (mehr als 200 Jahre später aufgestellt, und jetzt auch schon über 100 Jahre alt) beschreibt die Wirklichkeit etwas genauer, aber auch viel komplexer. Sie wurde bisher nicht falsifiziert, obwohl viele grundlegende physikalische Experimente genau darauf aufgerichtet sind, sie zu prüfen. Das Beispiel der Neutrinos, die in einem Experiment scheinbar schneller als die Lichtgeschwindigkeit gemessen wurden, haben die hektische Suche nach den Ursachen ausgelöst, bis der Fehler zweifelsfrei auf ein fehlerhaftes Kabel zurückgeführt wurde. Wäre das Experiment aber anderswo mehrfach, mit anderem, richtig funktionierenden Equipment wiederholt worden, und wären öfter überlichtschnelle Teilchen gemessen worden, hätte das tatsächlich zum Verwerfen dieser Teile der Relativitätstheorie geführt, die die wissenschaftliche Welt dann akzeptiert hätte.

Von einer Theorie wird nicht verlangt, dass sie alle Phänomene, die wir wahrnehmen können, erklärt. Über manche Dinge wissen wir einfach noch zu wenig, um sie mit Hilfe der Theorie erklären zu können. Diese Phänomene gehören zu den interessantesten Fragestellungen der Wissenschaft, und es zeigt sich immer wieder, dass sie irgendwann dann doch erklärt werden.

 

Ein mit Theorie vergleichbarer Begriff, der aber etwas anderes bedeutet, ist Dogma. Ein Dogma ist eine Aussage, deren Wahrheit als unumstößlich angenommen wird. Wir sehen diesen Begriff nicht in der Wissenschaft, wohl aber in der Kritik an bestimmten Aussagen der Wissenschaft von außen, wenn z. B. behauptet wird, die Evolutionstheorie sei genau so ein Dogma.

 

Die folgende Tabelle zeigt einige Aussagen und ihre Einordnung in eine der genannten Kategorien.

 

Aussage

Einordnung

Erklärung

Es gab keine Mondlandung, sie wurde nur mit Mitteln der Medien vorgetäuscht.

These

Es wurden Argumente für diese Aussage vorgebracht, teilweise auf wissenschaftlicher oder wissenschaftlich klingender Basis. Für eine Theorie fehlen jedoch sowohl die Fähigkeit, die Realität zu erklären, noch die Möglichkeit, Prognosen aufzustellen. (Es wird z. B. nicht behauptet, dass eine Mondlandung für immer unmöglich ist.)

Die Entstehung und Veränderung der Arten im Rahmen von Prozessen der natürlichen Selektion

Theorie

Die Aussagen im System widersprechen einander nicht (das hätten wir in 150 Jahren schon bemerkt). Die Aussagen können – und wurden bereits – verwendet werden, um Prognosen aufzustellen: Z. B. über damals noch nicht bekannte Fossilien von ausgestorbenen Zwischenformen bekannten Tierarten.

Ein „Gott“ existiert, der/die/das allmächtig, allwissend und allgütig ist.

Dogma in einer Bekenntnisgemeinschaft, These für andere

Dieses System von Aussagen stellt keine Theorie dar, weil die einzelnen Aussagen einander widersprechen, und aus ihnen auch keine Prognosen für die Zukunft ableitbar sind.

Evidenz für die Evolutionstheorie

Wir haben also gesehen, dass die Evolutionstheorie im Grunde ein System von Aussagen ist, deren Gültigkeit an der Beobachtung der Realität und an zielgerichteten Experimenten überprüft wird. Und sie wird laufend überprüft. Immer, wenn die Theorie ein beobachtetes oder experimentell hervorgebrachtes Phänomen besser als andere Aussagen (oder als einzige) erklärt, sprechen wir von Evidenz.

 

Die Evidenz für die Evolution füllt Bände. Es wurden vorhergesagte Fossilien von Zwischenformen gefunden, unlogisch erscheinende Phänomene erklärt (z. B. warum Wale Fußknochen haben und Menschen einen Schwanzwirbel), und Experimente sind wie vorhergesagt ausgegangen. Falsifikationen sind in der seriösen Wissenschaft nicht bekannt. Andere Theorien, welche die Vielfalt und die Eigenschaften der heute und aus Fossilien bekannten Arten sowie ihre Zusammenhänge mindestens genauso gut erklären, wurden bisher nicht aufgestellt.

 

Eine andere Theorie zur Entstehung der Arten wurde vor ca. 200 Jahren von Jean-Baptiste de Lamarck vorgeschlagen. Er war ein angesehener Biologe, der viel zum auch noch heute gültigen Wissen beitrug. Seine Theorie zur Entstehung der Arten besagte, dass erworbene Eigenschaften (z. B. eine Giraffe streckt den Hals immer höher, um Blätter auf Bäumen zu erreichen) auf die Nachfahren übertragen werden. Diese Theorie ist heute widerlegt, aber sie bestand lange Zeit als eine Alternative zur natürlichen Selektion nach Charles Darwin. Sowohl die Genetik, als auch versuchte experimentelle Nachweise führten dazu, dass die Theorie der erworbenen Eigenschaften verworfen und die heutige Form des Neodarwinismus (Weiterentwicklung der Theorie Charles Darwins) als allgemein anerkannte Erklärung für die Artenvielfalt etabliert wurde.

Was ist die Evolutionstheorie nicht?

Von Gegnern der Evolutionstheorie, die lieber ihre alternative Weltsicht etablieren möchten, werden häufig andere Dinge mit „Evolution“ in einen Topf geworfen:

  • Die Entstehung des Universums (Singularität, „big bang“)

  • Die Entstehung des Sonnensystems und der Erde

  • Die Entstehung des ersten Lebens auf der Erde

Über diese Fragen trifft die Evolutionstheorie keine Aussagen. Wer in einer Diskussion über Biologie und Evolution im Hinblick auf die Entstehung der Arten diese Punkte aufbringt, zeigt nur, dass er/sie weder die Evolutionstheorie kennt noch an einer seriösen Diskussion darüber interessiert ist.

Andere falsche Argumente in diesem Zusammenhang

Die Evolutionstheorie widerspricht grundlegenden Aussagen von Weltreligionen, Kritik aus dieser Richtung ist also erwartbar und war auch von Anfang an scharf geäußert worden. Seit den Tagen Charles Darwins wurden einige plausibel klingende Argumente entwickelt, die dazu dienen sollen, bei weniger informierten Menschen Zweifel an der Evolutionstheorie zu wecken. Dass selbst eine komplette Widerlegung der Evolutionstheorie die Glaubensinhalte nicht automatisch beweisen würde, wird von den Vertretern dieser Positionen gerne ignoriert, sie stellen diese beiden Erklärungsmodelle als die einzig möglichen nebeneinander. („Ich habe eine Schwäche in einem Detail der Evolutionstheorie gefunden, also ist die Schöpfung durch meinen Gott genau wie in meiner Bibel beschrieben wahr!“)

 

„Das kann doch nicht sein, dass wir nur durch Zufall so komplex geworden sind“

Die Evolution durch natürliche Selektion ist das genaue Gegenteil von Zufall.

 

Die Evolutionstheorie trifft Aussagen über Arten, nicht einzelne Individuen.

 

Wenn wir die Entwicklung beginnend bei einem simplen Organismus hin zu einem komplexen, an die Umwelt bestens angepassten Organismus (und jeweils Gruppen von ihnen, also Arten) betrachten, ist der Zufall der Faktor, der die Entwicklung behindert: Egal wie stark und schnell ein Löwenbaby ist, in einer Dürreperiode ohne Futter wird es verenden (Zufall). Langfristig werden sich aber in der Löwenpopulation häufiger die Individuen durchsetzen und vermehren können, die an ihre Umwelt besser angepasst sind. Diese Selektion ist also die Kraft, die gegen die zufällige Variation, die durch geschlechtliche Fortpflanzung entsteht, wirkt. Durch zufällige Großereignisse wie den berüchtigten Meteoriteneinschlag können natürlich komplette Arten aussterben, wie es den meisten Dinosauriern widerfahren ist. Hier hat der Zufall diese bestens entwickelte Gruppe von Arten in kurzer Zeit fast komplett ausgelöscht (wenige sind übrig geblieben, sie leben in den heutigen Vögeln weiter).

 

„Ihr seid die Nachkommen von Affen, ich nicht“

Die Evolutionstheorie sagt gar nicht, dass wir von Affen abstammen. Unter Anwendung der Evolutionstheorie wurde jedoch festgestellt und mit einer großen Menge an Evidenz belegt, dass wir von affenähnlichen Tieren (Simiae) abstammen, und somit gemeinsame Vorfahren mit den heute lebenden Menschenaffen haben. (Und weiter zurückgehend mit anderen Affen, noch weiter zurückgehend mit anderen Säugetieren, noch weiter dann mit anderen Wirbeltieren usw.)

 

Die Annahme, dass Menschen überhaupt nicht von Tieren abstammen, sondern von Anfang an etwas anderes waren, ist mit dem heutigen Wissen über Fossilien, Genetik sowie Medizin nicht vereinbar. Somit bleibt nur zu schauen, mit welchen Tieren wir die nächste Verwandtschaft haben, und dabei sind nun einmal die Menschenaffen identifiziert.

 

„Es ist noch nie vorgekommen, dass eine Katze einen Hund geboren hätte, also können so keine neuen Arten entstehen“

Das hat die Evolutionstheorie auch nie behauptet. Sie beschreibt Arten, also Gruppen von Individuen, die miteinander Nachkommen zeugen können. Innerhalb der Arten setzen sich über lange Zeit die Individuen durch, die an ihre Umwelt am besten angepasst sind. Wenn zwei Gruppen z. B. räumlich getrennt sind und andere Selektionskriterien entstehen, entwickeln sie sich in unterschiedliche Richtungen weiter, bis sie irgendwann nach Hunderten von Generationen nicht mehr miteinander Nachkommen zeugen können, also eigene Arten sind. Hunde und Katzen haben gemeinsame Vorfahren, aber diese liegen schon sehr lange zurück.

 

Dass direkte Nachkommen zweier Individuen meistens eine Mischung der Eigenschaften der Eltern erhalten, wird von der Menschheit seit Jahrtausenden bei der Züchtung von Pflanzen und Tieren genutzt, ganz ohne Kenntnis der Evolutionstheorie. Die Obstsorten, die wir heute kennen, kamen in der Natur vor 10.000 Jahren so nicht vor. Sie wurden durch gezielte Auswahl bis zu ihrer heutigen Form verfeinert. Ein heutiger Apfelbaum ist dabei trotz gemeinsamer Vorfahren mit einem Birnbaum nicht mehr fortpflanzungsfähig.

 

„Der zweite Satz der Thermodynamik…“

Dieser schön wissenschaftlich klingende Einwand kommt normalerweise von Personen, die den ersten Satz der Thermodynamik auf Nachfrage nicht nennen können, und vom zweiten Satz auch nur diesen Teil.

 

Es gibt tatsächlich diese Aussage im zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: In einem geschlossenen adiabaten [wärmedichten] System kann die Entropie [Durcheinander, Chaos] nicht abnehmen, sie nimmt in der Regel zu.

Daraus leiten Gegner der Evolutionstheorie irgendwie ab, dass in der Natur der Organisationsgrad nicht zunehmen könnte, weswegen eine natürliche Entwicklung von einfachen Lebensformen hin zu besser angepassten Arten nicht möglich wäre. Nur: die Erdoberfläche ist kein geschlossenes System. Die Sonne und andere Energiequellen (Geothermie, Luft- und Wasserströmungen, Niederschlag) führen Energie zu, wodurch physikalische, chemische und biochemische Prozesse eben auch bewirken können, dass die Entropie abnimmt, und neue, komplexere Lebensformen entstehen. Der zitierte Satz der Thermodynamik handelt also nicht von der Erde.

 

„Die Wahrscheinlichkeit, dass Leben entsteht, ist so niedrig, das kann nicht durch Evolution geschehen sein“

(Strenggenommen keine Aussage über Evolution, die nichts über die Entstehung des Lebens aussagt, aber doch häufig in diesem Zusammenhang geäußert.)

 

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine konkrete Person den Hauptpreis im Lotto gewinnt, ist in der Größenordnung von eins zu einer Million, je nach System. Trotzdem beobachten wir das fast jede Woche, weil so viele Leute Lotto spielen.

 

Wahrscheinlichkeit ist eine Aussage über das Auftreten zukünftiger Ereignisse. Sobald das Ereignis eingetreten ist, ist die Wahrscheinlichkeit nicht mehr „zuständig“.

 

Unser Universum ist eine sehr lebensfeindliche Umgebung. Galaxien kollidieren miteinander, Doppelsternsysteme vernichten ihre Planeten oder zwingen sie auf komplizierte Bahnen. Im Zentrum unserer Galaxie ist die Strahlung der benachbarten Sterne und die Gezeitenkräfte durch die Gravitation so groß, dass dort die Wahrscheinlichkeit für Leben tatsächlich sehr klein ist. Aber unter den Milliarden von Galaxien mit jeweils Milliarden von Sternen gab es halt (mindestens) diese eine, von der wir wissen, dass um sie herum ein System von Planeten entstanden ist, und auf einem dieser Planeten ist Leben entstanden, weil hier die Bedingungen günstig waren und noch eine Zeit lang sein werden (solange wir Menschen sie nicht zerstören). Da wir existieren, sind Aussagen über die vergangene Wahrscheinlichkeit unsinnig.

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