Volksfrömmigkeit oder Volksverblödung?

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Am 20.9.2020 erschien der Artikel „Hl. Corona – Vergessene Seuchenpatronin wird wiederentdeckt“ auf Kathpress. Wir erwarten dort ja keine begutachtete Forschung, aber grundlegende Aspekte der Logik und Bezüge zur Realität könnten schon beachtet werden.

Im Folgenden wird der Text des Artikels kursiv wiedergegeben und in normaler Schrift kommentiert.

Wien/Klagenfurt/Graz, 20.09.2020 (KAP) Die Volksfrömmigkeit hat ihren eigenen Umgang mit der Covid-19 Krise gefunden: Immer mehr Bildstöcke, Marterln, Votivbilder und Kapellen verweisen auf die heilige Corona, die in vergangenen Zeiten als Fürsprecherin bei Seuchen angerufen wurde. Das namensgleiche Virus, das die Welt in diesem Jahr geißelt, hat die frühchristliche Märtyrerin aus der Vergessenheit zurückgeholt. Jüngstes Beispiel für die kreativen Umsetzungen ist ein von der Künstlerin Klara Hartl erstelltes Bild der Heiligen, das vergangenen Sonntag im niederösterreichischen Oberwaltersdorf gesegnet wurde.

Klar. Ein gesegnetes Bild hilft deutlich besser als ein ungesegnetes. 

Die Verängstigung vieler Menschen wegen dem Virus sowie seiner Schutzmaßnahmen und Folgen nennt der Auftragsgeber des Bildes, Ortspfarrer Andreas Hornig, als Motiv: Das nun in der Oberwaltersdorfer Kirche aufgehängte Bild soll an die Seuchenheilige erinnern und dadurch „den Menschen Mut und Hoffnung geben, dass in ihrer Not Hilfe von oben kommt“, sagt er im Gespräch mit Kathpress. Die jugendliche Heilige, die in Ägypten oder Syrien gelebt haben soll und während der Christenverfolgung an zwei niedergebeugte Palmen gebunden und durch deren Emporschnellen getötet wurde, hält auf Hartls Bild Palmzweige schützend über die Kirche von Oberwaltersdorf.

Die Hilfe von oben wird von den ChristInnen seit bald 2000 Jahren erwartet. Sie ist nur noch nie gekommen – aber vielleicht ist es ja genau jetzt soweit. 

Wir finden falsche Hoffnung schlechter als gar keine, aber zur christlichen Lehre passt sie ganz gut.

Wie lieb von der Künstlerin, Frau Corona mit Palmzweigen abzubilden, um die Betrachtenden an ihren grausamen Tod zu erinnern. (Sind Parallelen mit Jesus eigentlich beabsichtigt?)

 

Die Sache mit dem gleichen Namen ist in den Augen Hornigs kein Zufall. Vielmehr halte er den Umstand für einen „Hinweis Gottes, wo wir uns hinwenden sollen“. Dieser habe das Coronavirus nicht geschickt, wohl aber zugelassen „damit die Menschen wieder nachdenken, dass es so nicht mehr weitergehen kann“. Ebenso habe Gott es andererseits auch zugelassen, „dass uns die Heiligen helfen dürfen“ – im konkreten Fall eben die Heilige Corona. Die Überwindung der Pandemie sei schließlich „nur dadurch möglich, dass Menschen Gott um Hilfe bitten, denn der Weg der Heilung führt über Gott“.

Kein Zufall, dass das Wort Corona (wie später beschrieben) für die Gekrönte, aber auch für Krone steht? Die Gruppe der Coronaviren ist so benannt, weil sie unterm Mikroskop der Corona der Sonne (in manchen Sprachen identisch mit Krone) ähneln. Wie soll also der Hinweis Gottes interpretiert werden? Mehr Naturwissenschaften und Latein lernen? 

Gott, der angebliche Schöpfer von allem, hat also genau dieses Virus nicht erschaffen, aber zugelassen? Woher weiß Herr MMag. Hornig das? (Woher kann das überhaupt jemand wissen?)

Wie folgt das aus dem Mythos eines allmächtigen, allgütigen Wesens? Was bedeutet, „dass es so nicht mehr weitergehen kann“? Vor der Corona-Krise hat ein wirkliches, brennendes Problem die Menschen beschäftigt: die drohende Klimakatastrophe. Diese wurde – obwohl sie nach wie vor wichtig ist – für Monate aus dem Diskurs verdrängt. Also, worüber sollen wir gerade nachdenken? War das in irgendeiner Weise hilfreich, Herr Hornig?

Gott hat also zugelassen, dass uns Heilige helfen? Wann genau fangen sie damit an? Es wäre gerade aktuell. Wie werden wir es dann merken? Gibt es in St. Corona am Wechsel etwa weniger Ansteckungen? Sind nach der Segnung des Bildes in der Umgebung weniger Fälle aufgetreten? Diese Dinge lassen sich leicht prüfen. (Im Fall von St. Corona am Wechsel: Der Bezirk Neunkirchen ist auf der Seite des Gesundheitsministeriums rot, im Gegensatz zu seiner Umgebung. Gab es vielleicht zu viele Wallfahrten seit Beginn der Pandemie?) Wer etwas behauptet, soll das auch belegen, sonst besteht die Gefahr, sich lächerlich zu machen.

„… der Weg der Heilung führt über Gott“? Wo waren Sie in den letzten Monaten, Herr Pfarrer? Sie verhöhnen alle Menschen, die wirklich helfen! Die Wissenschaft entwickelt in Überstunden Behandlungsmethoden, Mittel gegen die Krankheit und Impfungen. Deutlich mehr Menschen überleben eine Infektion im September als noch im März. Die Beiträge der Religioten haben sich bisher auf solche Durchhalteparolen und auf die Weigerung, sich den vernünftigen Regeln zu unterwerfen, erstreckt. Damit wurden dann die Gläubigen und ihr Umfeld aktiv in Gefahr gebracht. 

Denken wir kurz darüber nach, was wäre, wenn die gleiche Seuche vor 20 Jahren ausgebrochen wäre. Die Kirche würde dasselbe sagen, was sie jetzt sagt (ihr fällt ja seit 2000 Jahren nichts anderes ein). Die Wissenschaft und die Medizin hätten auf dem damaligen Stand geforscht, und es hätte alles länger gedauert: Ein Test wäre nicht schon nach einigen Wochen zur Verfügung gestanden, weil das Genmaterial des Virus damals noch nicht sequenziert und übers Internet mit anderen Forschungsgruppen geteilt werden konnte. Wir würden nicht 10 Monate nach der Entdeckung der ersten Krankheit schon Impfungen testen können. Insofern können wir uns glücklich schätzen, dass das alles heute und nicht früher passiert ist. Hier Gott hineinzureklamieren, deutet auf den Verlust jeden Realitätsbezugs hin. 

Religiöse warten auf Wissenschafter
Künstler unbekannt.

Weiter in Österreichs Süden war man mit der Heiligen-Widmung noch schneller: Im Kärntner Ort Köttmannsdorf entstand schon im April ein an der Hauptstraße erbautes Marter an Corona – und zwar wohl noch für lange Zeit, lässt die Verwendung von vier Tonnen Brücken-Stahlbeton unter dem Schindeldach schließen. Das Schöpfer-Duo des ebenfalls mit einem Bild der Heiligen verzierten Werkes, der Kunstmaler Roland Mutter und der Baumeister Otto Skrabl, wollten damit ebenfalls „ein Zeichen der Hoffnung“ setzen. Insbesondere soll der Bildstock auch an alle an Covid-19 Verstorbenen erinnern, deren Zahl in Österreich mittlerweile 766 und weltweit schon bald eine Million beträgt.

Wurde hier eigentlich öffentlicher Grund für ein religiöses Denkmal verwendet? Sind der öffentlichen Hand Kosten entstanden und werden welche in der Zukunft entstehen? Wendet sich dieses Denkmal auch an Leute, die einen unsinnigen und in sich nicht konsistenten Glauben bereits abgelegt haben oder nie hatten?

Den ersten neuen Corona-Gedenkort der Steiermark weist Bezüge nicht nur auf die römische Märtyrerin, sondern auch auf den Künstler Friedensreich Hundertwasser (1928-2000): Der Pensionist Helmut Maurer aus Söding verwendete dessen Originalfliesen für den auf seinem Grundstück errichteten farbenfrohen Bildstock, der zum im Mai begangenen Gedenktag der heiligen Corona von Pfarrprovisor Wolfgang Pristavec eingeweiht wurde. Auch seinem Bischof Wilhelm Krautwaschl gefiel die Idee des Pensionisten, wie er in einem Dankesschreiben bekundete.

In Niederösterreich, das schon zuvor mit St. Corona am Wechsel und St. Corona am Schöpfl zwei Corona-Wallfahrtsorte besaß, wird indes nach jahrhundertelanger Pause derzeit ein drittes Gotteshaus zu Ehren der Seuchenpatronin errichtet: Das Herz-Kreislauf-Zentrum Groß-Gerungs baut für Patienten, Gäste und Mitarbeiter eine Corona-Kapelle – als Dank dafür, dass die Reha-Einrichtung nach neun Wochen Lockdown-Stillstand gut aus der Krise gekommen ist. So widersprüchlich es klinge, in der Corona-Krise eine Kapelle für Corona zu errichten – „vielleicht schützt uns die heilige Corona vor einer noch größeren Seuche?“, gab Geschäftsführer Fritz Weber dazu an.

Das Herz-Kreislauf-Zentrum verwendet hoffentlich etwas mehr evidenzbasierte Methoden in der Diagnostik und der Therapie. Wie hat eigentlich Frau Corona dazu beigetragen, dass der Lockdown beendet wurde? Und wie sollte Frau Corona vor einer größeren Seuche schützen können, wenn sie es mit der kleineren nicht schafft?

Bekannt ist über Corona (lateinisch „die Gekrönte“ und damit ein Hinweis auf den allgemeinen Begriff „Märtyrerin“) nur Vages: Den Angaben zufolge wurde sie im Jahr 161 oder aber 287 geboren – wo, ist unbekannt. Noch als Teenager wurde sie die Ehegattin des Soldaten Victor, der sich während der Christenverfolgung weigerte, seinen christlichen Glauben zu widerrufen und deshalb hingerichtet wurde. Die junge Witwe sei unter den Römer-Kaisern Antoninus Pius oder Diokletian ebenfalls den Martertod gestorben, auf die oben beschriebene ausgesucht brutale Weise.

Die griechische Legende von Victor und Corona siedelt deren Martyrium in Damaskus an, sie war aber darüber hinaus in vielen Varianten verbreitet. Deshalb wird neben der syrischen Hauptstadt als Todesort auch Antiochia in der heutigen Türkei, Alexandria in Ägypten, Sizilien oder Marseille angegeben. Verehrungstraditionen gibt es in der griechischen, der lateinischen und der äthiopischen Kirche; in Nord- und Mittelitalien galt Corona schon im 6. Jahrhundert als Vorbild an Glaubenstreue. Reliquien von ihr und Victor finden sich in Castelfidardo bei Osimo an der Adriaküste bei Ancona, wo es schon früh eine dem Paar geweihte Kirche gab. Durch die Kaiser Otto III. und Karl IV. gelangten Reliquien auch nach Aachen bzw. Prag.

OK. Zwei Jahrhunderte und drei Kontinente – wann kann die Kirche eigentlich zugeben, etwas einfach nicht zu wissen? Das ist nicht „nur Vages ist bekannt“: das ist „mehrfach schlecht erfunden“. Die Quellenlage ähnelt der für Jesus Christus.

Wenigstens wusste man, auf welchem Kontinent die garantiert echten Reliquien zu finden sind.

 

Corona gilt laut dem Ökumenischen Heiligenlexikon als Schutzpatronin gegen Seuchen. Sie ist jedoch auch die Heilige der Schatzsucher und Fürsprecherin bei Geldangelegenheiten. Letzteres hat dazu beigetragen, dass die österreichische Münzeinheit bis 1924 nach der Heiligen „Krone“ hieß.

Nein, die Krone hieß nach dem Symbol der Herrschaft so. Sonst wäre weder im Deutschen noch in anderen Sprachen der Begriff für die Währung Krone (z. B. englisch crown, dänisch kroner usw.) identisch mit der Königskrone, sondern etwas, was mehr nach Corona klingt. Aber diese Info steht völlig ohne Belege im zitierten Heiligenlexikon, wo man wohl gewohnt ist, Legenden, Hörensagen und andere Erfindungen als Wissen zu präsentieren. Vielleicht doch nicht die beste Informationsquelle.

Im Internet ist noch viel Platz für Texte, aber vielleicht sollte man sich bei Kathpress überlegen, ob alles, was erscheint, ohne Nachdenken veröffentlicht werden muss.

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