Bischof gegen Demokratie: Kreuzdiskussion in Tirol

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Das SchülerInnenparlament in Tirol hat einen Beschluss gefasst: „Raus damit, Kruzifix nochmal! Nageln wir die Schule nicht ans Kreuz, sondern schaffen wir eine faire Lernumgebung.“ Der Beschluss bezeichnet die Kreuze in allen Klassenräumen als „Missstand“.

Die konkrete Forderung ist, die Kreuze in den Klassenzimmern abzuhängen, außer wenn die Klasse sich einstimmig für die Beibehaltung entscheidet. Die rechtliche Regelung ist in Tirol so, dass in allen Bildungseinrichtungen in jeder Klasse ein Kreuz hängen muss. Außer in landwirtschaftlichen Schulen, dort sind die Kreuze nur anzubringen, wenn die Mehrheit der Klasse ein christliches Bekenntnis hat. 

Das SchülerInnenparlament wurde 2020 vom Tiroler Landtag gesetzlich etabliert, und zwar einstimmig von allen Parteien. Seine Beschlüsse erlangen zwar keine Gesetzeskraft, werden aber an die entsprechenden Gremien in der Landesregierung oder an die Bildungsdirektion weitergeleitet. Das heißt, dass sie einen hohen Stellenwert haben sollen, insbesondere in Angelegenheiten, die den Alltag der SchülerInnen betreffen.

Aber so schnell geht es im „Heiligen Land“ nicht. Dafür gibt es den Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, Experte für „geistige und spirituelle Verarmung“, der eben diese befürchtet, wenn der demokratischen Beschluss des SchülerInnenparlaments umgesetzt wird. Schulräume ohne religiöse Zeichen widersprächen ihm zufolge der gesellschaftlichen Realität. Sein Vorschlag: Neben dem Kreuz sollen auf Wunsch der SchülerInnen auch die Symbole anderer Religionen aufgehängt werden. Was er vergisst: Unter Jugendlichen glaubt die Mehrheit nicht mehr an GöttInnen, ist also höchstens noch dem Taufschein nach „christlich“ (Jugendstudie „Lebenswelten 2020“). Und ab 14 Jahren kann man sich für den Kirchenaustritt entscheiden: Das Diktat von außen gegen demokratische Beschlüsse wird die Anzahl der Austritte unter Jugendlichen sicherlich nicht verringern.

Glettler sprangen schnell andere VertreterInnen des klerikal-politischen Reaktionismus zur Seite. Gudrun Kofler, die FPÖ-Bildungssprecherin in Tirol, ebenfalls kein Fan der SchülerInnen-Demokratie, spricht von „geistig unbedarftem Aktionismus“ (worin die FPÖ ja große Expertise besitzt) und malt den Teufel der Halbmonde in rein islamischen Klassen („in Ballungszentren“, damit alle kapieren, wo das Böse wohnt) an die Wand. Also ist sie eigentlich gegen das, was Glettler mit dem Anbringen weiterer religiöser Symbole fordert.

Der Obmann der Tiroler Jungbauerschaft/Landjugend, Dominik Traxl, kann mit dem Vorschlag auch nichts anfangen. Für ihn ist der Beschluss des SchülerInnenparlaments „inakzeptabel“, womit auch er ein sehr spezielles Demokratieverständnis an den Tag legt.

Das Kreuz als Symbol

Historisch war das Kreuz in verschiedenen Varianten (auch T-förmig) ein Folter- und Exekutionswerkzeug in der Antike. Die römische Besatzungsmacht verurteilte tausende unschuldige Menschen, FreiheitskämpferInnen, aber auch VerbrecherInnen zu einem langen und qualvollen Todeskampf. Die Gekreuzigten durften auch wochen- bis monatelang nicht abgenommen und bestattet werden, sie sollten ja als Abschreckung für andere dienen, um eine Terrorherrschaft zu stabilisieren.

Ob es einen Jesus gab, auf den sich die Mythen des Neuen Testaments beziehen und wenn ja, ob dieser wirklich gekreuzigt wurde, wissen wir nicht. Wie auch immer, irgendwann nach einigen Jahrhunderten haben die Christen beschlossen, dieses Folterinstrument als eines ihrer Symbole zu wählen (neben dem stilisierten Fisch, einem verbreitetem „Fruchtbarkeitssymbol“ der Antike mit eindeutigen Bezügen zur weiblichen Anatomie).

Im Laufe der Jahrhunderte wurde mit viel geistiger Akrobatik darüber nachgedacht, was das Kreuz denn statt seinem historischen Bezug symbolisieren soll. Laut Bischof Glettler sei es ein „Glaubens- und Hoffnungszeichen“ (es hing natürlich auch an den Wänden der katholischen SchülerInnenheime in Tirol, in denen systematischer Missbrauch stattfand). Weiters sei das Kreuz ein Symbol dafür, dass „Versöhnung möglich ist und die Liebe stärker ist als jeglicher Hass“. Keinesfalls sei es ein „Symbol der Sieger und Permanent-Erfolgreichen“, fährt der Bischof, den „jeder Austritt schmerzt“, fort.

Der Jungbauernobmann Traxl meint, das Kreuz sei „eine Erinnerung an das Wertefundament der Tirolerinnen und Tiroler, das vor allem auch Toleranz, Nächstenliebe und Offenheit behinhaltet“ – Eigenschaften, für die Tirol österreichweit bekannt ist.

Der Vorsitzende der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck, Klaus Heidegger, Religionslehrer, wurde konkreter. Nein, das Kreuz in Klassenzimmern sei kein christliches Herrschaftszeichen, sondern erinnere an „Jesus und seine Botschaft des Gewaltverzichts“ (wer die Bibel aufmerksam liest, findet genug Gegenbeispiele), und die – wir erinnern uns – vorgeschriebenen Kreuze können auch „Ausdruck von Religionsfreiheit“ sein. Eine ähnliche Argumentation wie bei Gott, der auch nur positive Eigenschaften haben kann: Mit dem Erdbeben hat er zwar nichts zu tun, aber wenn jemand nach Tagen aus den Trümmern gerettet wird, Halleluja! Mit dieser Logik wird man immerhin noch Religionslehrer.

Ohne christliche Indoktrination ist das Kreuz erst einmal Folter-Deko, die auch an tausende unschuldig hingerichtete Menschen erinnert. Wer nicht an einen Jesusgott glaubt, für den ist dieser Aspekt auch nicht von dessen Schein verdeckt. Und viel zu oft wird das Kreuz als Zeichen der Dominanz einer Religionsgemeinschaft über Gesellschaft und Öffentlichkeit verwendet – auch hier, wenn gefordert wird, einen demokratischen Beschluss zugunsten dieser traditionellen Dominanz zu ignorieren. Die gesetzlichen Regelungen, die offensichtlich den Wünschen der Betroffenen nicht mehr entsprechen, weisen auf die langjährige Verflechtung zwischen ehemaliger Staatsreligion und dem Staat sowie die fehlende Trennung zwischen diesen hin.

Symbole haben keine eingebaute Bedeutung. Wie wir sehen, wird das Kreuz ganz unterschiedlich wahrgenommen. Und genau deswegen ist es so wichtig, auf die Meinung derjenigen, die das Symbol täglich sehen müssen, zu hören, statt ihnen von außen eine fremdbestimmte Bedeutung aufzuzwingen. Die SchülerInnen, denen man noch kein Wahlrecht gewährt, haben das verstanden. Der Bischof, die Politikerin, der Jungbauer, der Religionslehrer nicht.

Wie weiter?

In Tirol und weiteren Bundesländern in Österreich sind die Kreuze in Bildungseinrichtungen immer noch ohne Wenn und Aber anzubringen. In anderen nur mehr dann, wenn die Mehrheit der Klasse ein christliches Bekenntnis hat – bei SchülerInnen unter 14 Jahren ist das natürlich das Bekenntnis der Eltern. Gleichzeitig gibt es den Aspekt, dass die Schulklassen auch Arbeitsplätze von Erwachsenen, nämlich LehrerInnen sind. Es gibt nicht viele Bereiche, in denen die Republik sich noch anmaßt, an Arbeitsplätzen Kreuze vorzuschreiben, aber die Schulen sind vorerst noch solche Orte.

Das Tiroler Landesgesetz, das die Anbringung des Kreuzes regelt, ist an die Schulleitung gerichtet. Derzeit müssen die Kreuze hängen. Ihr Umfeld, das Anbringen weiterer Dekoration und anderer Symbole, die genaue Platzierung sind jedoch im Gesetz nicht geregelt, hier können die Klassen also etwas Kreativität zeigen. Die Konsequenzen einer zu großen Kreativität und sich daraus ergebender Diskussionen trägt in erster Linie die Schulleitung, was in einer Schule mit christlicher Trägerschaft interessante Folgen haben könnte.

Mittelfristig gehören diese Gesetze auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt, zusammen mit dem Konkordat, mit dem sie begründet werden. In Deutschland stellen die beiden großen Kirchen (römisch-katholisch und evangelisch) nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit, Österreich ist auf dem besten Weg dorthin, es dauert noch 4-5 Jahre, oder kürzer, wenn sich die Bischöfe zu oft gegen Demokratie aussprechen. Die Jugend ist für die christlichen Kirchen sowieso verloren, katholisch getauft wird schon seit Jahren weniger als die Hälfte der Kinder. Es ist das große Thema der nächsten Jahre in der politischen Auseinandersetzung, wie stark kirchliche und religiöse Interessen noch gegen die Mehrheit durchgesetzt werden können. Die Diskussionen sind jedenfalls da, und die Fronten sind klar: Demokratie gegen althergebrachte konservative-klerikale Dominanz.

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