Im Corona-Winter des beginnenden Jahres 2021, noch bevor ein Impfstoff in großem Maßstab zur Verfügung steht, sollen also wieder die Sternsinger unterwegs sein. Die Katholische Jungschar, aus Spenden und von der Bischofskonferenz, aber auch von Bundeskanzleramt und Bundesministerium für Frauen, Familien und Jugend finanziert, organisiert wie jedes Jahr die „Dreikönigsaktion“. Nur ist dieses Jahr nicht wie jedes andere.
Es mag in einer normalen Zeit unproblematisch sein, Kindergruppen von Haus zu Haus und in der Stadt in engen Hausgängen von Wohnung zu Wohnung zu schicken und die Leute, die ihnen die Tür öffnen, mit Gesängen zu beeindrucken, um sie danach um Spenden zu bitten. Im heurigen Winter fällt das jedoch unter schwer kalkulierbares, unnötiges Risiko. Mit Stand 21. 12. 2020 will es die Dreikönigsaktion trotzdem versuchen.
Theologische (?) Grundlagen
Darstellung der Dreikönigsaktion: „Das Sternsingen wurzelt in der Weihnachtsgeschichte von der Geburt Jesu“. Wann genau Jesus (falls es ihn überhaupt gab) geboren worden sein soll – nicht mal das Jahr ist überliefert, der kirchliche Konsens ist paradoxerweise „4 vor Chr.“ –, ist unbekannt, es könnte jeder der 365 Tage des Jahres sein. Weiters ist auch nicht überliefert, in welchem zeitlichen Abstand danach die drei (?) Könige (Magier? Astrologen? Weisen?) beim Kind waren.
Also könnte man in Wirklichkeit die Aktion jederzeit stattfinden lassen, es müsste nicht genau im Lockdown, während der kältesten und kürzesten Tage des Jahres, in der Inkubationszeit der zu Weihnachten sprunghaft ansteigenden kontaktbedingten Corona-Infektionen sein.
Aus der Bibel
Wer die Bibel genau liest, „erfährt“ aus dem Matthäus-Evangelium folgendes:
In den Tagen von König Herodes (gestorben 4 vor unserer Zeitrechnung) kamen „Magier vom Morgenlande“ (in unbekannter Zahl, und auch als Weisen oder Sterndeuter übersetzt) nach Israel. Die Magier/Astrologen haben (offensichtlich als einzige) einen Stern gesehen und daraus abgeleitet, nach Jerusalem zu kommen und dort nach einem neuen König zu suchen. Dies kam dem amtierenden König aus naheliegenden Gründen nicht ganz koscher vor, also forderte er seine Experten auf, den Suchbereich einzuschränken. Das Ergebnis der Nachforschungen war eine Prophezeiung, dass es sich um Betlehem handeln müsste. Herodes schickte die ihm unbekannten Ankömmlinge aus dem Ausland hin, statt etwa seine Beamten mit der Aufgabe zu betrauen. Der Stern bewegte sich, nur für die Magier sichtbar, in offensichtlichem Verstoß gegen physikalische Gesetze, über einen Ort mit einem Kind. Dort angekommen, übergaben sie ihre mitgeführten Schätze, und huldigten dem Baby und seiner Mutter. Danach hatten sie (gemeinsam?) einen Traum, der sie anwies, ihren königlichen Auftrag aufzugeben und heimzukehren.
Herodes erkannte, dass es vielleicht doch vertrauenswürdigere Leute gegeben hätte, um zu ermitteln, und aktivierte Plan B: alle Knaben in Betlehem und dem Umland zu töten. (Jesus wurde jedoch, wieder durch eine Anweisung in einem Traum, rechtzeitig außer Landes geschafft.) Im Römischen Reich, in dessen Vasallenstaat/Provinz diese Grausamkeit stattfand, wurde das Ereignis offenbar als so alltäglich angesehen, dass es keinen Eingang in Chroniken und Geschichtsbücher fand. Erst später, im Irrglauben, dass das Matthäus-Evangelium historische Ereignisse beschriebe, führten Christen diese Geschichte als Begründung für die Gleichsetzung von Juden mit Kindesmördern ein.
Im Lukas-Evangelium hingegen wird Jesus schon kurz nach der Geburt von den Eltern nach Jerusalem gebracht und erweckt dort regelmäßig Aufsehen, aber das ist für unsere Dreikönigsgeschichte nicht mehr relevant.
Hier und jetzt
Nach diesem ahistorischen Exkurs können wir uns wieder der heutigen Situation widmen. Zwischen 26. Dezember und 18. Jänner ist wieder ein harter Lockdown mit Ausgangssperren angekündigt. Die Verordnung erlaubt wie bisher „unaufschiebbare berufliche Tätigkeiten“, die auch ehrenamtliche Arbeit mit einschließt. Nach dem Buchstaben der Verordnung kann also die Aktion – mit Auflagen wie Verzicht aufs Singen, Abstand halten und streng ohne Betreten der Wohnung – stattfinden, solange sie wirklich unaufschiebbar ist.
Wie wir wissen, ist nicht alles, was gesetzlich erlaubt ist, auch eine gute Idee. Das Coronavirus hat schon mehrfach gezeigt, dass es die Verordnungen nicht gleich interpretiert wie das Gesundheitsministerium. Es hat auch in vermeintlich sicheren Bereichen wie Schulen und Kindergärten zu Ansteckungen geführt. Eine lustige Kindergruppe, die in einem engen Gang eines Wohnhauses an der achten Tür anläutet, hat bis dahin genug Aerosole ausgestoßen, um das Öffnen der Wohnungstür zu einem Risiko zu machen – und das genau in der Zeit, in der Lockdown und Schulferien Menschen möglichst effektiv voneinander trennen sollen. (Diese konkrete Gefahr mag an freistehenden Bauernhöfen am Land nicht bestehen. Aber ob man dort die Kinder weisungsgemäß wirklich in der Kälte draußen stehen lässt statt sie hereinzubitten, ist zu bezweifeln.)
Die einzig sichere Entscheidung derjenigen, die zu Hause sind und die Wahl haben, ist also: die Tür bleibt zu.
Es gäbe so viele Möglichkeiten, die ganze Aktion sicherer zu machen: Stände an Straßenecken, Verschiebung um einige Monate z. B. in die Osterferien, Voraussetzung der Impfung der Teilnehmenden, und so weiter. Diese Maßnahmen sollen offensichtlich nicht ergriffen werden: die Katholische Jungschar gefährdet mit ihrer Profilierungsaktion somit bewusst die Gesundheit vieler Menschen und nimmt eine weitere Verbreitung des Virus in Kauf.
Kritik an der Aktion
Die Katholische Jungschar, die gegen Kinderarbeit in anderen Ländern eintritt, organisiert Kinder, die – ob ganz freiwillig, durch Gruppendruck oder von den Eltern nominiert – von Haus zu Haus gehen und dabei die (wie wir gesehen haben) nicht biblische, aber christliche Botschaft verkünden, und dabei das Image der Kirche in Verbindung mit karitativer Tätigkeit stärken sollen. Diese Gleichsetzung von Kirche und Wohltätigkeit ist ein bewährtes Mittel der Missionierung und auch von anderen Religionsgemeinschaften bis hin zum Islam bekannt. Zitat aus dem Geschäftsbericht der Jungschar: „Wer außer unseren Sternsinger/innen bringt schon das Evangelium bis an die Haustür?“ (Seite 20) Die Missionstätigkeit ist also nicht nur Nebeneffekt, sondern erklärtes Ziel.
Auf der anderen Seite, in den Zielländern, ist die Wohltätigkeit der Kirche auch missionarisch gefärbt. Die Mittel kommen bei den Empfängerorganisation schließlich von der Katholischen Jungschar, die dafür sorgt, dass die von ihr ausgewählten Organisationen auch wissen, wer so viel Gutes tut. (Kondome verteilen und Aufklärung über Empfängnisverhütung gehören wohl nicht zu den Haupttätigkeiten der ausgewählten Organisationen.) Der allgemeingültige christliche Missionsauftrag macht eine neutrale Hilfe schon implausibel, und die Höhe der eingenommenen Mittel (laut Geschäftsbericht der Jungschar etwa 18 Mio. €/Jahr) lässt vermuten, dass auch etwas Geld für Broschüren und Bibeln übrigbleibt. Der Geschäftsbericht bestätigt das auf Seite 23: Der Posten „Kirche im Dienst am Menschen“ beträgt 26,22 % der Mittelverwendung und ist damit die größte Kategorie. Welcher Anteil von „Bildung durch Bewusstseinsbildung“ (13,98 %) und „Menschenrechte & Zivilgesellschaft“ (19,56 %) und der restlichen Ausgaben noch missionarisch ist, erfahren wir aus dem Geschäftsbericht nicht. Dass insgesamt mindestens die Hälfte der „Hilfe“ mit katholischem Mascherl kommt, ist aber eine plausible Annahme.
Für Menschen, die wirklich wohltätig und nicht durchs Nadelöhr einer kirchlichen, missionarischen Organisation spenden wollen, ist die Dreikönigsaktion also eine denkbar schlechte Möglichkeit. Ein besser geeignetes Ziel für Spenden ist etwa das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen.
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