Durch seinen Kommentar in den Niederösterreichischen Nachrichten [1] zeigt Probst Petrus Stockinger, wie schlecht es um die ethische Bildung in Österreich bestellt ist. Wer hätte erwartet, dass ein universitätsgebildeter Theologe und hochrangiger Geistlicher den Unterschied zwischen Moral und Ethik nicht kennt?
Während bestehende Verhaltensnormen als Moral zusammengefasst werden, befasst sich Ethik mit dem systematischen Nachdenken über die Moral.
Religiöse Moral beschäftigt sich also in einem engen Rahmen mit Verhaltensnormen, die – so wird angenommen – gottgegeben und unverrückbar sind. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ein Religionsvertreter meint, ohne seine Religion gäbe es keine Moral.
Ethik steht jedoch eine Stufe über der Moral und hinterfragt, wie sinnvoll die Normen einer bestehenden Moral sind, egal woher sie kommen. Gerade wenn Menschen aus verschiedenen Religionen und Religionsfreie in einer Gesellschaft aufeinandertreffen, reicht religiöse Moral ganz offensichtlich nicht aus. Die Wahrheit ist, dass Ethik – Nachdenken über richtiges moralisches Handeln – gerade außerhalb der Religion viel produktiver ist.
Ethik ist also keine Morallehre, wie sie in autoritären Staaten und Religionen vorkommt.
Im Ethikunterricht findet nicht die subtile Indoktrination statt, die wir aus dem Religionsunterricht kennen, im Gegenteil: Hier wird über moralische Systeme nachgedacht, sie werden analysiert, verglichen, verstanden und gegebenenfalls kritisiert. Indoktrination hat hier keinen Platz, sie wäre dem Lernerfolg hinderlich.
Möglicherweise denkt Stockinger beim Begriff „Ethik“ an die katholisch-theologische Ethik, die nur ein Teilgebiet der praktischen Ethik darstellt, da sie streng auf das christliche Ethos eingeschränkt ist. Dies wäre in etwa so, als ob man sich nach erfolgreicher Bewältigung des Einmaleins als großer Mathematiker fühlt.
Wie sonst als aus dieser Haltung heraus soll man Stockingers unappetitlichen Vergleich einer philosophischen Ausbildung mit der nationalsozialistischen Indoktrination vor 1945 erklären?
Es hätte nur fünf Minuten Recherche gebraucht, um sich mit den Forderungen der Initiative Ethik für Alle auseinanderzusetzen. Dort [2] ist detailliert beschrieben, dass eben keine staatlich verordnete Moral vorgeschrieben, sondern die kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Quellen der Ethik und der Moral gefördert werden soll. Die dort geforderte Qualitätssicherung für den Ethikunterricht ist jedenfalls hochwertiger, als sie für den Religionsunterricht in Österreich jemals vorgesehen war.
Der bisher als Schulversuch geführte Ethikunterricht wird in dieser Hinsicht von allen Beteiligten positiv bewertet. Das ist ein gutes Fundament, auf dem der Ethikunterricht für Alle aufgebaut werden kann. Die staatliche Wertevermittlung ist 1945 übrigens nicht zum letzten Mal gescheitert. Danach nahm sie wieder die Form des konfessionellen Religionsunterrichts an und dauert bis heute fort. Das Scheitern dieses Irrweges dürfen wir gerade beobachten.
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