Die Meldung erweckt Interesse: Eine Gebetswoche für die Einheit der Christen. Fast alle machen mit: Katholiken und Altkatholiken, Griechisch- und Rumänisch-Orthodoxe, die verschiedenen evangelischen Kirchen, sogar Baptisten, deren Geschichte mit blutiger Verfolgung durch die großen Kirchen begann. Endlich Hoffnung auf ein Ende der langen Spaltungsgeschichte der Kirchen? Kirchen, für die Frauen als Priester schlimmer sind als Kindesmissbrauch, endlich vereint mit denen, für die der Papst der Antichrist ist? Die Exorzisten mit und ohne Hubschrauber, alle wieder eins?
Nach dem Ende der Gebetswoche stellt sich Ernüchterung ein. Alles wie vorher. Wie konnte das passieren? Neben dem Beten haben doch sicherlich Gespräche stattgefunden, um die strittigen Fragen zu klären, und sich auf die gemeinsamen Inhalte zu einigen? Videokonferenzen auf höchster Ebene, in denen Zeitpläne beschlossen und Umsetzungsschritte definiert wurden? Die Ankündigung, dass es ab jetzt nur mehr ein evangelisches Bekenntnis gibt statt drei? Stillegung von Kirchen, die niemand mehr braucht?
Was wirklich geschah...
Für die Gebetswoche 2021 wurde Folgendes getan: „Vorbereitet werden die Feierlichkeiten zur Gebetswoche für die Einheit der Christen von einer Gruppe ökumenischer Partner in einer bestimmten Region der Welt. Sie erarbeiten liturgische Materialien zu einem Thema der Bibel, die dann von einem gemeinsamen internationalen Redaktionsteam des ÖRK und der Römisch-katholischen Kirche bearbeitet werden, um sicherzustellen, dass sie in der ganzen Welt genutzt werden können, und um sie mit dem Streben nach sichtbarer Einheit der Kirche zu verknüpfen.“ (World Council of Churches)
So wie schon 2020, 2019, … Mit anderen Worten: Jedes Jahr werden Leute im Berufschristentum damit betraut, Bibelstellen zu finden, auf die sich alle Christen (von den Konfessionen, die mitmachen) einigen können und dann Gebete basierend auf diesen Inhalten erarbeitet. Dies wird dann noch von der größten Gruppe, den Katholiken, separat abgesegnet. Das ist alles. Keine Gespräche über eine konkrete Einigung, nicht mal über eine gemeinsame Auslegung der Bibel, über liturgische Details, Gottesdienste nach einem gemeinsamem Ablauf, …
Eine Sache mit (vielleicht) messbarer Wirkung ist doch passiert: Genau in der Gebetswoche nahm der Ökumenische Arbeitskreis der deutschen Katholiken und Evangelischen Stellung zu einem Schreiben aus dem Vatikan. In Deutschland wollten die Bischöfe erlauben, dass Christen der beiden großen Konfessionen an beidseitigen Abendmahlfeiern teilnehmen. Dem erteilte die Glaubenskongregation im Vatikan eine Absage. Die Diskussion über ganz kleine Schritte der Öffnung geht weiter, Beten für die Einheit hin oder her.
Noch ein interessantes Statement kam aus dem Vatikan: Dem Papst zufolge ist es der Teufel, der die Christen spaltet. Da die katholische Kirche sich ja als die eine richtige Konfession ansieht, kann er mit Spaltung nur die anderen christlichen Religionsgemeinschaften gemeint haben. Diese haben auf diese alberne Beleidigung, ihre Sonderwege seien vom Teufel gesteuert, aber nicht erkennbar reagiert und einfach weitergebetet. Sie wissen ja seit Jahren, wie besessen der Papst vom (Thema) Teufel ist, und wie relevant solche Aussagen aus seinem Mund sind: nämlich gar nicht.
Die lange Einheit vor der Spaltung
Es wurde mehrfach der Wunsch geäußert, die Christen mögen zu ihrer Einheit, die in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung bestanden haben soll, zurückkehren. Welche Einheit genau?
Die ersten als großteils echt angenommenen christlichen Dokumente, die Paulusbriefe (ca. 50-60 unserer Zeitrechnung), streiten schon mit anderen Christen, die sich nicht sicher sind, ob Christus auferstanden ist. „Petrus“ diskutiert im 2. ihm zugeschriebenen Brief (eine spätere Fälschung) mit den Leuten, die „ausgeklügelten Fabeln folgen“ und behaupten, Jesus hätte es gar nicht auf der Erde gegeben. Keine nebensächlichen Fragen, sondern grundlegende Glaubensinhalte. Vertreter dieser Deutungen würde man heute nicht einmal als Christen bezeichnen.
Die vier Evangelien beschreiben vier verschiedene Jesusse, vom frommen Juden bei Matthäus bis zum stetigen Kritiker „der Juden“ bei Johannes. Das war nicht eine Kirche: das waren unabhängige Gemeinden in verschiedenen, weit voneinander entfernten Städten, die ohne verbindliche Dokumente (die erst später entstanden) versuchten, ihre Version des Christentums zu leben.
Die erste historisch überlieferte Spaltung einer christlichen Gemeinde fand bereits ca. um 150 unserer Zeitrechnung statt, über die Frage, was denn genau die heiligen Schriften sein sollen.
Natürlich haben TheologInnen, die das alles studiert haben, überhaupt kein Problem damit, das genaue Gegenteil zu behaupten und die Kirche als jahrhundertelange Einheit darzustellen.
... und das Gebet
Der Glaube an das Gebet ist ein zentraler Glaubensinhalt der Christen. Je nachdem, wo man nachschaut, ist es wirksam (Punkt 545), oder Zwiesprache mit Gott, oder hat sogar Wunder als Folge.
Messbare Ergebnisse sind bisher nicht erkennbar. Ob der Papst im Vatikan oder ein freichristlicher Prediger im österreichischen Parlament fürs Ende der Pandemie betet: Leider hält sie an und wird u. a. auch von religiösen Gruppen (ob orthodoxe Juden in Jerusalem und New York oder Covid-19-leugnende Megachurches in den USA) weiter verbreitet. Ihnen sind ihre glaubensbasierten Rituale und realen Umsätze wichtiger als die Gesundheit und das Leben ihrer Mitmenschen.
Was für die Pandemie schon nicht funktioniert hat, entfaltet also auch für den hier deklarierten Zweck, die Einheit der Christenheit, keine Wirkung. Nicht einmal ein konkretes Ergebnis der „Zwiesprache“ mit Gott wurde genannt. War’s vielleicht doch nur ein Monolog? Man könnte sich also zu Recht fragen, wofür das Ganze dann gemacht wird.
Eine Welt ohne Konsequenzen
Wir denken nach: Es gibt also Organisationen, die neben ihrer täglichen Arbeit auch regelmäßig Handlungen vorbereiten und durchführen, ohne irgendwelche Konsequenzen zu erwarten oder zu sehen. Zu einer festgesetzten Zeit wird ein vorher bereitgestellter Text nach einem festen Ablauf wiedergegeben und das ist alles.
Kennen wir andere, die das machen? Ja: Theater. Die SchauspielerInnen lernen vorbereitete Texte ein, empfangen Anweisungen, wie sie sie wiedergeben sollen, tragen Konflikte aus, sterben und stehen wieder auf, verbeugen sich, und wenn die Aufführung vorbei ist, gehen sie zurück in die Realität. Bis zum Beginn der nächsten Aufführung.
Jetzt wird alles klar: Die Gebetswoche für die Einheit der Christen war eine Theatervorstellung. So muss man nicht wirklich etwas tun, sondern nur so tun als ob. Man muss nicht über Kompromisse wie Frauen, die Gottesdienste leiten, reden, und niemand muss Angst um den Arbeitsplatz haben. Statt eines gemeinsamen Gottesdienstes in einer Kirche können weiterhin vier, jeweils zu weniger als einem Viertel gefüllte Häuser zur gleichen Zeit die vierfache Menge Berufschristen beschäftigen, mit reichlicher Unterstützung aus öffentlichen Mitteln.
Das Publikum erlebt die Aufführung mit positiven Gefühlen. Sie bedeutet eine Abwechslung vom Alltag, der Inhalt ändert sich ja regelmäßig. Die Darsteller (sehr wenige -innen) sind bekannt und beliebt, kein Massenmedium würde sie jemals negativ darstellen oder kritisieren. Und noch etwas: Das Publikum darf und soll mitmachen. Dies ist einer der Ansätze des Totaltheaters (Erwin Piscator ab 1927): Aufhebung der räumlichen Trennung zwischen SchauspielerInnen und ZuschauerInnen und damit die tiefere Einbindung des Publikums.
Jetzt sind wir schon tief in der Theaterwissenschaft und den Strömungen des 20. Jahrhunderts angelangt. „Unlogische Szenarien, absurde Handlungen und wahllos verknüpft erscheinende Dialogreihen“ (Wikipedia) – das ist eindeutig absurdes Theater. Die Gebetswoche arbeitet exakt nach diesem Muster: Etwas, das nie existiert hat und auch nicht gewollt ist, wird als Ziel ausgegeben; die vorgegebenen „Handlungen“ sind realistisch gesehen nicht geeignet, das Ziel zu erreichen; und schließlich reagieren die anderen Protagonisten auf die Beleidigung des Papstes überhaupt nicht, nehmen also am Dialog nicht teil.
Gratulation: Hier wurden relativ moderne Strömungen des Theaters zu einer gelungenen Einheit geformt. Das kritische Publikum weiß das zu schätzen und applaudiert begeistert. Hals- und Beinbruch für die nächste Aufführung!
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Weil der Fuldaer Stadtpfarrer Stefan Buß in seinem letzten „Impuls“ erst mit einem Jahr Verspätung über die Gebetswoche 2021 berichtet hat, gibts erst jetzt hier einige Gedanken zum damaligen Motto: https://www.awq.de/2022/01/gedanken-zu-impulse-von-stadtpfarrer-buss-gebetswoche-um-die-einheit-der-christen/