75 Jahre Bullshit – Kathpress

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In den Sozialwissenschaften steht „Bullshit“ für Aussagen ohne besondere Bemühungen um Wahrheitsgehalt. Kathpress, das Propagandaorgan der katholischen Kirche Österreichs, feiert ihre bereits seit 75 Jahren andauernde Tätigkeit in diesem Bereich mit einem richtigen Meisterwerk, in dem die Wörter „unabhängig“ und „Wahrheit“ ganz neue Bedeutungen erhalten. Wir gratulieren herzlich.

Der Beitrag ist bei Kathpress zu lesen. Er wird wohl wie andere „Veröffentlichungen“ von Kathpress in einer Woche hinter einer Login-Wand verschwinden, was für eine Medienorganisation ein eher ungewöhnlicher Ansatz ist. Aber wie üblich gibt es eine wörtliche Wiedergabe auf mindestens einer Erzdiözesen-Webseite, also können sich die JournalistInnen der Tagespresse und andere SatirikerInnen weiterhin davon inspirieren lassen.

Christoph Schönborn, Herausgeber von Kathpress und im Nebenberuf Kardinal der römisch-katholischen Kirche, würdigte die Arbeit von Kathpress in einer Predigt:

Kathpress gelinge es außerordentlich gut, ein Organ der Katholischen Kirche und gerade deshalb auch unabhängig zu sein...

So funktioniert „gerade deshalb“ nicht. Es bringt zwar den Verzapfern theologischer und anderer postmoderner Texte der Fiktionalliteratur manchmal Szenenapplaus, wenn sie besonders gelungene Widersprüche in einen einzigen Satz packen können, aber bei Wörtern wie „unabhängig“ sollte gerade die katholische Kirche etwas vorsichtig sein. Sonst erwähnt unweigerlich jemand die „unabhängige“ Opferschutzkommission, deren Vorsitzende von der Bischofs- und der Ordenskonferenz bestimmt wird. Das ergibt in Österreich einfach eine schiefe Optik.

Dem Propagandaorgan der Kirche, die das Wort Propaganda erfunden hat, gelinge es,

"nicht weisungsgebunden, keine Hofberichterstattung, sondern in der reinen journalistischen Verantwortung der Wahrheit gegenüber"

zu sein. Wahrheit ist das zweite Wort in diesem Text, das nicht in seinem gewöhnlichen Kontext verwendet wird. (Wenn wir die zweifelhafte Erwähnung von „Verantwortung“ gnädig übersehen.)

Wenn wir in der realitätsbasierten Community „Wahrheit“ sagen, meinen wir damit Aussagen, deren Wahr-Sein überprüft und belegt werden kann. Nicht so die katholische Kirche und ihre unabhängig angestellten Verdreher. Sie meinen mit Wahrheit einfach das, was die Leitung der Organisation gerade verkündet, und das kann durchaus situationselastisch sein. Vielfach gilt eine Wahrheit als solche, bis ihr Gegenteil nicht mehr geleugnet werden kann. Dann ist plötzlich etwas ganz anderes die Wahrheit, und war es schon immer. Aber immer mit einem „katholischen Profil“, bis die nächste unbequeme Wahrheit von außen hineindringt und zur neuen Wahrheit wird. In diesem System ergibt es plötzlich Sinn, dass „Veröffentlichungen“ nach einer Woche dem öffentlichen Zugriff entzogen werden.

Lob von erwarteter Stelle

Der Sozial- und Medienethiker Alexander Filipovic (an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien) kritisierte in seinem Impulsvortrag unter anderem „owned media“ als schädlich … und lobte danach die „exzellente Arbeit“ der Kathpress und äußerte den Wunsch, sie möge weiterhin „Vorbild“ sein. Soo nah daran!

Chefredakteur und Geschäftführer Paul Wuthe erwähnte, dass der Blick von Kathpress weit über Österreich und die katholische Kirche hinausgehe, sie betreffe die Ökumene und „die Welt der Religionen“. Als aufmerksamer Beobachter internationaler Religions-Themen mit abgeschlossenem Publizistikstudium kann der Autor dieser Zeilen die Aussage nicht vollinhaltlich bestätigen. Ja, als Kathpress-Beobachter kann man sich durch zahlreiche „Nachrichten“ wie „X feiert Geburtstag“ und „Y gratuliert X zum Geburtstag“ durchklicken. Aber relevante Informationen wie die Verurteilung eines deutschen Geistlichen wegen Volksverhetzung oder ein von US-amerikanischen Universitäten vorgelegter Bericht über die Rolle des christlichen Nationalismus beim Sturm des Kapitols schaffen es nicht durch den Filter der „Verantwortung der Wahrheit gegenüber“. Und manipulierend dargestellte Statistiken werden statt einer Richtigstellung, wie es der Ehrenkodex des Presserats verlangt, lieber still und heimlich korrigiert.

Kritische und vollständige Berichterstattung über den Schaden, den Religion und speziell ihre römisch-katholische Unart in der Welt anrichtet, können wir von Kathpress also auch weiterhin nicht erwarten. Aber Unterhaltung, die an manchen Tagen mit den besten Satiremedien konkurriert. Etwa wenn die Kirche in ihrem verzweifelten Versuch, Menschen zumindest in ihre Gebäuden zu bringen, eine Kletterwand im Stephansdom aufstellt, oder einen Escape Room im Linzer Dom einrichtet. Zuerst auf Kathpress gelesen, dann auf Seiten, die Verantwortung für ihre Inhalte übernehmen, verlinkt.

Unvergessen bleibt auch die Aktion, bei der die katholische Jugend Oberösterreich versucht hat, sich von ihren intelligenteren Mitgliedern zu trennen:

Echt oder fake? Katholische Jugend OÖ

Ohne Kathpress wüssten wir das alles nicht. Insofern freuen wir uns auf die nächsten 75 Jahre Bullshit, Gossip über katholische Celebrities sowie viele unfreiwillig komische Beiträge, und wünschen alles Gute zum Geburtstag.

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Ich frage mich allerdings wozu man Unabhängigkeit braucht wenn man eh im Besitz der einzig wahren Wahrheit ist. Oder habe ich da was falsch verstanden?

Den Missionsbefehl mal ganz ausgenommen :-)

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