Christen und Corona – Gebet, Sakramente und Weihwasser (2)

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Die katholische und die evangelische Kirche hüten sich bei ihrer Beschreibung von Gebet auffällig davor, irgendeine Wirkung zu behaupten. Sie bezeichnen das Gebet lieber als Dialog oder Zwiesprache mit Gott oder als Ausdruck der Gottesverehrung.

 

Der Katechismus des Vatikan wird schon deutlicher: „Unser Gebet ist wirksam, weil [schwurbel schwurbel]“.

 

Wenn wir uns an dem orientieren, was die höchsten Vertreter der Kirchen tun, schaut es ganz anders aus als die vorsichtigen Formulierungen auf den Webseiten. Da betet der Papst ganz konkret für ein Ende der Pandemie oder empfiehlt das Rosenkranzgebet gegen Corona, unterstützt von evangelischen und katholischen BischöfInnen. Um die Behauptung einer Wirkung schwurbeln sie jedoch lieber herum.

 

Bewegungen, die sich im Spannungsfeld zwischen Bibel und Realität lieber an erstere annähern, behaupten gerne, dass Gebete konkrete Wirkungen hätten, z. B. Heilungswunder. Oder sie verblüffen die Öffentlichkeit mit ihrem Gebet für einen abgesetzten Bundeskanzler.

 

(Es gibt Studien, die gerade bei heilbaren Krankheiten und geplanten Operationen einen positiven Effekt im Rahmen der Placebowirkung auf die betende Person sowie auf Personen, die wussten, dass für sie gebetet wird, zeigen konnten. Eine korrekt durchgeführte Doppelblindstudie hat jedoch keine Effekte gezeigt, weil in diesem Kontext kein Placeobeffekt möglich war.)

 

Worum in einem Gebet gebeten wird, lässt sich auf einer Skala zwischen „Änderung des eigenen Verhaltens“ über „Änderung des Verhaltens anderer Menschen“, „Einwirkung auf komplexe Vorgänge“ (z. B. Heilung) bis hin zu auch für andere wahrnehmbaren Wundern (z. B. das amputierte Bein wächst zurück) einordnen. Ob durch Sozialisierung oder aus eigener Erfahrung lernen Gläubige schnell, nicht für wundersame und eindeutig falsifizierbare Dinge zu beten. (Aber nicht alle, was für sie fatal enden kann.) Wundersam wäre etwas, was der Alltagserfahrung widerspricht; falsifizierbar könnte so etwas sein wie „das soll bis morgen Mittag geschehen“. Üblich ist daher das Beten für Ereignisse, die sowieso mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten: Eine Prüfung bestehen, den Job bekommen, die Oma kommt geheilt aus dem Krankenhaus. Für den regelmäßig auftretenden Misserfolg des Gebets stehen natürlich von der Kirche Ausreden wie „Gott ist kein Kaugummiautomat“ bis hin zu victim blaming (der Glaube war nicht stark genug) bereit.

 

Die Kirchen rufen also auf, für ein Ende der Pandemie (irgendwann, irgendwie) zu beten. Wir lesen nicht, dass der Papst etwa für ein Ende der Pandemie bis Ende des laufenden Jahres betet, oder für ein konkretes Heilmittel. Wenn die Forschung dann soweit ist (ohne Mitwirkung der Kirche, oder sogar mit Mitteln, die sie ablehnt), wird man nicht zu sehr enttäuscht sein und kann trotzdem Gott danken.

 

Betrachten wir nun zwei Dinge gemeinsam: Die Hypothese eines allgütigen und allmächtigen Gottes, der die Pandemie nicht verursacht, aber auch nicht verhindert hat, einerseits, und das gemeinsame Beten der verschiedenen Konfessionen, also vielfachen Dialog mit Gott andererseits. Wenn Beten eine Wirkung hätte, würden wir das mittlerweile sehen: Gott hätte sich auf die Wünsche der leidenden Menschen eingestellt und auf magische Weise die Pandemie beendet, oder z. B. dafür gesorgt, dass niemand mehr stirbt, falls er es für erforderlich hält, sein Wirken nicht durch zu offensichtliche Wunder zu zeigen (eine gängige Erklärung von Religioten, wenn sie nicht mehr weiter wissen). Oder, wenn Beten nicht direkt wirkt, aber ein Dialog mit Gott ist, hätten wir schon die Info von Papst, Bischöfen und den einfachen Gläubigen, denen Gott im Dialog erklärt hat, warum genau und wie lang die Pandemie noch anhält.

Christen und Corona - Gebet, Sakramente und Weihwasser (2) 1
Gott ganz eindeutig in der "Kann noch gelegentlich auf Toast erscheinen"-Phase

Für diese Dinge sehen wir heute keine Evidenz. Für die atheistische Hypothese, dass Gebete ein Monolog sind, und folglich die christlichen Behauptungen über Gebete und Gott nicht zutreffend sind, ist die Evidenz jedoch sehr stark. Diese Hypothese ist leicht falsifizierbar. Evidenz, die wir akzeptieren würden, wären z. B. eine wissenschaftlich nicht erklärte globale Verbesserung beim Verlauf der Krankheit, Reduktion von Todesfällen auf 0 ohne neue, besonders wirksame Medikamente, oder die unabhängige, übereinstimmende Äußerung von mehreren ChristInnen unterschiedlicher Bekenntnisse (selber Gott!) über Ursachen und zukünftigen Verlauf der Pandemie.

Sakramente, Sakramentalien und andere Zauber

Diese Wörter bezeichnen magische Elemente des Glaubens, über die sich die Varianten des Christentums nicht einigen konnten. Sie beinhalten Riten wie die Umwandlung von Keksen in Überreste eines fiktiven Menschen, Taufe oder Exorzismen sowie Objekte wie Weihwasser. Einigen von ihnen wird eine grundlegende Bedeutung in der Heilslehre zugeschrieben (nicht getauft: sorry, kein Paradies) oder sie legalisieren Sozialverhalten (Ehe). Eines der für die katholische Kirche ganz wichtigen Sakramente ist die Beichte, die andere Kirchen in dieser Form jedoch gar nicht kennen, weil sie biblisch nicht belegt ist. Ein Teil der Sakramente ist also reine Erfindung der römisch-katholischen Kirche, die sie zur Erhöhung des Organisationsgrades und der Kontakthäufigkeit mit ihren (Zwangs-) Mitgliedern eingeführt hat. Heutzutage sagt man auch Kundenbindungsmaßnahme dazu.

 

Rituale wie die Beichte, die ganz wichtig sein sollen, wurden in der Corona-Zeit aufgrund widriger Umstände für eine Weile nicht durchgeführt. Um die daraus entstehenden unsichtbaren negativen Folgen zu vermeiden, wurde jedoch die Möglichkeit der Generalabsolution erdacht. Smart! Warum ist das eigentlich nicht in normalen Zeiten möglich? Es würde für viele Gläubige ihr Alltagsleben vereinfachen, gerade wenn sie weit entfernt von der nächsten Kirche wohnen, der Weg dorthin beschwerlich ist, oder sie krank oder gebrechlich sind. Vor allem, da es sich um ein selbst geschaffenes Problem der katholischen Kirche handelt: Evangelische und Freikirchen, die auf diese Rituale keinen so hohen Wert legen, haben es einfach nicht, weder bei der Beichte noch bei der Umwandlung von Kohlenhydraten in Fleisch. Diese Kirchen haben der Öffentlichkeit und ihren eigenen Würdenträgern nicht erklären müssen, dass Brot während der TV-Messe beim Hokuspokus (ursprünglich: „hoc est corpus“, Teil der lateinischen Messe) zwar am Altar, aber keinesfalls am heimischen Küchentisch zu göttlichem Fleisch wird.

Weihwasser in Pandemie-Zeiten

Weihwasser soll „Segen und Schutz“ schenken. Sogar heilende Wirkung wird versprochen. Selbst in der Raumfahrt wird es eingesetzt. Insofern erscheint es inkonsequent, dass die Kirchen zu Beginn der Pandemie die Weihwasserbecken geleert haben (und das Wasser hoffentlich korrekt entsegnet), um mit dem Segen und Schutz nicht gleichzeitig auch Coronaviren zu verbreiten.

 

Wie kann das sein? Ist das etwa ein Eingeständnis, dass das Weihwasser doch keine besondere Schutzwirkung hat? Dass es ein leeres Ritual ist, das in schwierigen Zeiten problemlos ausgesetzt werden kann? Dass man sich bei kritischen Fragen auf die Begründung „Menschen fühlen sich davon besser“ zurückziehen kann?

Krisen und ihre Folgen für den Glauben

Es waren Katastrophen wie das Erdbeben von Lissabon und regelmäßig wiederkehrende Pestepidemien, die in früheren Jahrhunderten halfen, das Vertrauen in die Macht der Kirche und des von ihr propagierten Gottesbildes zu erschüttern. Wir haben aktuell, selbst von Kirchenvertretern eingeräumt, wieder diese Situation. Die Gläubigen sehen das selbst, und bekommen auch noch von Vertretern ihrer Religionsgemeinschaften das Signal, die Wissenschaft hätte hier die Federführung, auf sie müsse man vertrauen. Verzweifelt klingt die Forderung, doch bitte auf den Glauben nicht zu vergessen, weil Gott ja doch irgendwo im Hintergrund stünde und bei der Sinnsuche hälfe. (Die Sinnfrage wird dann hervorgeholt, wenn die Argumente ausgegangen sind. Dass die Antworten, die eine Kirche auf diese Frage geben kann, frei erfunden sind, müssen wir hier nicht extra betonen.)

Fazit

Wir haben folgende Reaktionen der kirchlichen Organisationen auf die Corona-Krise beschrieben:

 

  • Übernahme der staatlich vorgegebenen Beschränkungen, damit die Anerkennung der Tatsache, dass religiöse Veranstaltungen, Rituale und Artefakte keinen Sonderstatus mit Schutzwirkung gegen eine Pandemie besitzen

  • Explizite Anerkennung der Leistungen der vom Glauben unabhängigen Wissenschaft und Forschung, und die Hoffnung auf deren Ergebnisse

  • Fehler, Auslassungen und fragwürdige Argumentation in öffentlichen Äußerungen
  • Die öffentlich zur Schau gestellte Pseudo-Hilfe in Form von Gebeten, an deren Wirksamkeit nicht einmal mehr die Organisation selbst glaubt, statt echter Hilfe

Daraus leiten wir folgende Schlussfolgerungen ab:

  • Die Religion hat sich in modernen aufgeklärten Demokratien endgültig aus der Diskussion über Fakten und Wissen zurückgezogen. Sie hat keinen Anspruch mehr, die Gesellschaft über die Gruppe ihrer Mitglieder hinaus mitzugestalten, weil ihr die Methoden, gesichertes Wissen zu erzeugen, fehlen, und sie daran gar nicht interessiert ist.

  • Folglich müssen sich die Religionen ins Privatleben der Gläubigen zurückziehen. Förderungen mit öffentlichen Mitteln, staatlich bezahlter Religionsunterricht in öffentlichen Schulen, Mitwirkung beim Einheben von Kirchenbeiträgen, eine eigene Gerichtsbarkeit für Sexualverbrechen an Minderjährigen usw. gehören abgeschafft.

  • Ihre Aussagen über Glaubensinhalte sind widersprüchlich und beliebig, und gelten, falls überhaupt, nur für die eigene Gruppe. Damit disqualifizieren sie sich von der bevorzugten, zugesicherten Teilnahme an Ethikräten, Publikumsräten, Aufsichtsorganen und ähnlichen Gruppen, die fundiertes Wissen voraussetzen und die Gesellschaft repräsentieren sollen. Die Praxis, den Religionsgemeinschaften in solchen Gremien fixe Plätze zuzuweisen, muss beendet werden. Sie können die gleichen Mechanismen wie andere Gruppen der Zivilgesellschaft verwenden, um ihre Stimme gleichberechtigt hörbar zu machen.

  • Von Medien wird zu Recht erwartet, dass sie Falschdarstellungen nicht weiterverbreiten bzw. korrigieren. Diese Regel muss auch auf die bisher unkritisch übernommenen Aussagen von KirchenvertreterInnen angewendet werden, insbesondere wenn sie ohne Belege (rein auf Basis ihres Glaubens) Aussagen mit Konsequenzen über ihre Mitgliedschaft hinaus tätigen (z. B. die Abschaffung von Schwangerschaftsabbrüchen fordern). Die vollständigen Kosten der Übertragung ihrer Veranstaltungen in Massenmedien müssen sie selbst tragen.

Zu diesem Artikel gibt es auch einen ersten Teil: Christen und Corona – Was wir über Glauben lernen können.

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